Sahm: Seit wann gibt es diesen "Chefs der Chefs"-Klub?
Kadosch: Er wurde 1978 gegründet von Gilles Bragard, dem Schneider der Elitechefs. Die Chefs der führendsten Restaurants tragen seine Uniformen. Wenn du einen Bragard trägst, dann bist du gleich wer. (Kadosch zeigt das "B" an seinem Ärmel.) Bragard kennt alle wichtigen Chefs und hat deshalb den exklusiven Klub der Chefs der Herrschenden gegründet. Sie tauschen Erfahrungen aus und treffen sich jedes Jahr. Der Herrscher des jeweiligen Landes ist der Gastgeber. Im vergangenen Juli waren wir in Russland. Medwedew empfing uns sehr freundschaftlich im Kreml mit einem atemberaubenden Mittagessen und natürlich mitsamt einer Führung durch den ganzen Kreml. Im kommenden Juli werden Deutschland und Frankreich die Gastgeber sein, also Merkel und Sarkozy.
Ziemlich häufig. Alle halbe Jahr?
Nein. Das Treffen hier in Tel Aviv war ungewöhnlich und nur mit fünf Chefs, die extra angereist kamen, um ein Essen zugunsten des Peres-Friedenszentrums zu kochen. Die Einkünfte waren palästinensisch-jüdischen Projekten gewidmet.
Welche Chefs fehlten? Aus welchen Ländern? Sind auch arabische Länder vertreten?
Nein, keiner aus arabischen Ländern. Beteiligt sind Thailand, Malaysia, China, Italien natürlich, Schweden, Griechenland, die britische Königin und andere.
Nordkorea?
Nein, wirklich nicht. Fünf sind diesmal gekommen und mit mir haben wir sechs Gänge gekocht. Ich bin vorher nach Monaco geflogen, zum Präsidenten unseres Klubs, um zu diskutieren, wer den ersten und wer den zweiten Gang bereiten sollte. So bauten wir ein Menü, das natürlich koscher sein musste.
Wir reden von den "Chefs der Chefs". Sie kochen aber doch nicht für den israelischen Chef, also Präsident Schimon Peres?
Als die mich eingeladen haben, habe ich ihnen erklärt, dass in Israel die Chefs sich keinen Chef halten. Man sagte mir, dass ich doch bei Staatsempfängen koche, für Präsidenten und Könige. Ähnliches gebe es auch in anderen Ländern, zum Beispiel der Chef des "Oriental Hotels" in Bangkok. Der kocht gelegentlich für den König.
Verraten Sie mir bitte ein Geheimnis: Schmiert sich der Herr Peres seine Butterbrote selber?
Nein das glaube ich nicht. Ich weiß es nicht. Er ist ein Mann, der gutes Essen zu schätzen weiß. Mir unvergessen ist eine Mahlzeit, die er für König Hussein (von Jordanien) ausrichten ließ. Für mich war es die Erfüllung eines Traumes, für arabische Herrscher zu kochen. Es war kurz nach dem Mord an Rabin. Peres rief mich zum Tisch des Königs. Sie interessierten sich für das Essen und wieso ich jenen Fisch ausgewählt hätte. Ich erklärte ihnen, dass es ein Fisch sei, von dem unsere beiden Völker lernen könnten, in Frieden zusammenzuleben. Der Fisch gedeiht an der Grenze zwischen Akaba und Eilat im Roten Meer. "Denis" ist ein guter und leckerer Fisch.
Mir ist aufgefallen, dass Sie ein vegetarisches Essen mit Fisch für das Galaessen im Peres-Center entworfen haben.
Immer wenn ich Chefs aus dem Ausland einlade, kommt die Frage nach koscherem Fleisch auf. Das wird in eine Lauge von Salz und Wasser gelegt. Erst gestern habe ich einen Fleischermeister aus Italien mit 250-jähriger Fleischertradition getroffen. Ich fragte ihn, ob er schon koscheres Fleisch gegessen habe. Ob es tatsächlich durch das Koschern geschädigt werde. Er meinte: "Wohl nicht." Ich fragte ihn, ob er das nur aus Nachsicht sage. Dann meinte er: "Wenn es qualitativ wirklich gutes Fleisch ist, passiert ihm nichts, wenn man es in Salz und Wasser einlegt." Um uns damit jedoch nicht zu plagen, haben wir beschlossen, nur Gemüse und Fisch zu kochen. Fische sind in dieser Jahreszeit besonders gut. So haben wir alle Probleme gelöst.
Der Thai-Koch von Obama, der Franzose vom Kreml oder Ulrich Kerzer, Merkels Koch, wissen die überhaupt, was koscher bedeutet?
Ich habe es ihnen in Russland erklärt. Einige wussten es. Sie interessierten sich sehr für die koschere Küche. Einige sagten, dass sie schon koscher für Staatsessen mit dem israelischen Premierminister oder dem Präsidenten in Italien oder im Weißen Haus gekocht hätten. Dann sagt man ihnen, wo sie koscheres Fleisch finden, aber meistens entscheiden sie sich halt für Fisch.
Aber die Mahlzeiten können doch gar nicht wirklich koscher sein, allein wegen des Geschirrs (Trennung von Fleisch und Milch).
Mir wurde erklärt, dass in Washington oder Paris jedes Mal neues Geschirr und Besteck gekauft wird. Oder das Essen wird per Catering bestellt.
Gibt es überhaupt eine jüdische Küche?
Es gibt keine Küche des ganzen jüdischen Volkes, sondern eher ganz viele jüdische Küchen. Zum Beispiel ist die jüdische Küche in Marokko ganz anders als die übrige marokkanische Küche. Genauso die jüdischen Küchen in Europa, obgleich die Juden die Speisen ihrer Umgebung angenommen haben. In Rom gibt es zahlreiche Speisen, die von den Juden im Ghetto stammen, als die dort noch lebten. Das interessierte mich, weil ich immer wieder auf Carciofi alla giudia gestoßen bin, also Artischocken nach jüdischer Art. Im römischen Ghetto, nahe der Synagoge, gibt es viele Restaurants, und da sagte man mir, dass man früher den Juden die Abfälle und die einfachsten Zutaten überlassen hatte, vor allem die von den Christen verschmähten Innereien. Daraus haben die Juden dann Delikatessen bereitet. Und inzwischen sind diese jüdischen Speisen in ganz Italien beliebt. Die Rezepte haben bis heute überlebt.
Und die israelische Küche?
Das ist eigentlich eine lokale Küche, beeinflusst von dem, was hier im Land gerade wächst und was dem Klima angepasst ist. Wir sind hier in einem Mittelmeerland. Deshalb passt zu uns am besten eine leichte Küche mit viel Aroma. Ein Koch sagte mir mal: "Das ist eine Küche der Sonne." Es gibt hier viel Frische, Gewürze und Olivenöl.
Das klingt doch eigentlich wie die hiesige arabische Küche.
Nein, die ist schwerer als unsere Küche. Es gibt das lange Kochen mit den Gewürzen und es gibt das schnelle kurze Kochen mit den frischen Zutaten. Das ist bei uns die Richtung.
Sie haben mal eine mehrbändige Enzyklopädie des Kochens auf Hebräisch herausgegeben. Würden Sie das heute wieder tun?
Nein. Aber heute würde ich ein Buch herausgeben, das die Geschichte erzählt, wie ich als kleiner Junge von Afula auf einem offenen Lastwagen nach Haifa gefahren bin, um Reden von Menachem Begin anzuhören. Und dann, Jahre später, stehe ich vor ihm, habe ihm ein Essen bereitet und werde dem amerikanischen Präsidenten Carter vorgestellt. So etwas ist doch gar nicht selbstverständlich. Oder die Begegnung mit König Hussein. Oder die "Mahlzeit des Königs David", die wir aus Anlass des dreitausendjährigen Bestehens Jerusalems vorbereitet hatten.
Mir ist aufgefallen, dass ein ganz wesentlicher Bestandteil der klassischen jüdischen Küche in israelischen Restaurants nicht angeboten wird, nämlich Schabbatgerichte, wie das jemenitische Schabbatbrot Kubane. (Fromme Juden halten ihre Restaurants am Schabbat geschlossen und kämen nicht auf die Idee, während der Woche typische Schabbatgerichte anzubieten.)
Das ist richtig, obgleich in den Hotels Tscholent und andere Schabbatgerichte am Schabbat angeboten werden. Das ist sehr schade. Das muss erhalten bleiben. Solange es noch die Menschen gibt, die das kennen, muss es bewahrt werden. Weil heute die Menschen häufiger auswärts essen gehen, statt zu Hause zu kochen, geht viel verloren.
Andererseits gibt es hier in Israel wohl ein weltweit einzigartiges Phänomen. Hier entstehen Kochbücher zu ganz exotischen Gebieten in der Welt, zum Beispiel zur kurdischen und afghanischen Küche. Diese Bücher sind alle auf Hebräisch. Die Autoren schauen ihren Großmüttern über die Schulter und schreiben auf.
Das ist alles sehr richtig. Aber ein Kochbuch reicht nicht aus. Es ist mir unvergesslich, wie ich einmal zu meiner mittlerweile verstorbenen Mutter gekommen bin und sie fragte: "Mutter, ich habe exakt getan, was du mir gesagt hast. Aber es kommt nicht das gleiche dabei heraus." Es hilft nichts. Das sind Leute, die ohne Rezepte gekocht haben, aber mit ganz viel Liebe. Für die Mutter, die für ihre Kinder, den Mann und Gäste kocht, ist das etwas ganz anderes: Die Energie, der Einsatz und die Liebe. Bei uns gab es zum Beispiel keinen Kühlschrank. Alles kam ganz frisch in den Kochtopf. Von neun Kindern war ich der einzige, der meiner Mutter zugeschaut hat. Aber ich habe niemals den Geschmack nachmachen können, den sie gezaubert hat.
Sie sind marokkanischer Abstammung.
Ja, kilometerweit konnte man riechen, was meine Mutter gerade kochte und es als ihre Küche identifizieren. Ich hoffe, solange es möglich ist, gleichgültig welche ethnische Gruppe, dass diese Kulturen bewahrt bleiben, denn das ist kulturell sehr wichtig. Wenn ich Vorträge halte, dann erkläre ich immer, dass man sich beim Kochen nicht strikt ans Rezept halten sollte. Falls mal eine Zutat fehlt, dann nimm halt was anderes und das Ergebnis könnte noch besser werden. Übrigens, das wichtigste Gewürz zu jedem Gericht ist die Liebe. Wenn die nicht vorhanden ist, dann nützen die besten Zutaten nichts.
Eine etwas delikate Frage: In Israel gibt es Israel Aahroni, Gidi Gov, Gil Hovav. Die treten ständig im Fernsehen auf. Jeder kennt sie, aber Sie sehe ich kaum.
Ich bin ziemlich viel im TV aufgetreten, aber nicht in einem eigenen Programm. Dafür muss man frei sein. Man hat es mir mehrmals angeboten. Aber da muss man sich danach richten, wann gerade ein Studio frei ist. Und dann muss man sich verpflichten. Aber ich arbeite hier im Hotel. Deshalb muss ich Prioritäten setzen. Außerdem bin ich bekannt dafür, nicht dem Ruhm hinterher zu laufen. Ich bin sehr zufrieden mit dem, was ich tue.
Schauen Sie sich die Kochprogramme an?
Meiner Meinung ist das schon "over done", völlig übertrieben. Viel zu viel. Alles was in zu großen Mengen kommt, geht am Ende unter. Die Medien haben viel Gutes für die Kochkunst in Israel getan, aber es bedarf der Proportion und nicht zu viel, sonst verliert es an Wert.
Wie sind Sie Koch geworden?
Ich bin vor vielen Jahren zu diesem Beruf gelangt, weil ich die Welt sehen wollte, andere Kulturen kennen lernen. Also heuerte ich auf Schiffen an, Kreuzschiffen und später auch Frachtern.
Hatten Sie dabei nicht ein Problem mit dem Koscher?
Oh ja. Ich esse koscher und habe da ein echtes Problem. Aber ich sehe es nicht als Problem, sondern eher als eine Herausforderung. Es gibt im Wesentlichen zwei Dinge, die ich nicht anrühren oder ausprobieren würde: Schwein und Schnecken. Ich verstehe einfach nicht, wie man so was überhaupt essen kann.
Die Kochkultur in Israel hat nach meiner Beobachtung allein in den letzten 20 Jahren eine regelrechte Revolution durchgemacht. Könnten Sie mir die Geschichte Israels gemäß dem Kochtopf erzählen?
Und als ich an Land ging, damals, gab es nicht all die tollen Zutaten wie heute: Estragon, Endivien, frischen Ingwer, grünen Spargel, Kiwi, Rucola, Ananas… Früher gab es Orangen, Äpfel, Bananen. Wenn ich zum Beispiel mal eine Sauce Béarnaise machen wollte, musste ich Freunde bitten, mir aus dem Ausland ein wenig Estragon mitzubringen. Niemand hatte dafür in Israel Verwendung. Basilikum verwendeten nur die Jemeniten am Schabbatausgang, um daran zu riechen. Und inzwischen sage ich den Bauern: Pflanzt weiterhin Apfelsinen, Kartoffeln und Karotten an, aber auch all die anderen Dinge. Es begann und wurde immer umfangreicher.
Wie kam es dazu?
Weil die Israelis plötzlich ins Ausland reisten. Dort in Restaurants aßen und mit den Eindrücken wieder heimkehrten. Es gab erst die Hungerperiode, dann die Steakhäuser, die Pizzerias, die chinesischen Restaurants und dann die Sushi-Bars. Früher wurde man gefragt, ob man Wein trinken wolle. Heute fragt man, welcher Wein denn gewünscht sei, welcher Jahrgang und welche Kelterei. Das alles passierte innerhalb von nur 15 oder 20 Jahren. Einmal hatten wir den französischen Präsidenten hier im Hause zu Gast im Lokal "Kuh auf dem Dach". Ich schenkte ihm Wein ein. Er war erstaunt und sagte: "Ich dachte, dass französischer Wein unkoscher sei." Wir sagten ihm: "Monsieur le Président, das stimmt zwar, aber Sie haben eben keinen französischen Wein getrunken, sondern israelischen." Es war ein Special Reserve Rothschild von Carmel. Der Präsident war überrascht. Es gab hier noch viele Revolutionen, mit dem Wein, dem Kaffee und dem Olivenöl.