Dodi hat keine akademische Ausbildung. Aber Universitäten, Museen und Wissenschaftler aus aller Welt, von den USA bis nach Japan, fragen heute nach ihm, weil er Waffen, Werkzeuge und Gebrauchsgegenstände aus der Steinzeit herstellen kann. Dazu verwendet er die ursprünglichen Fertigkeiten und Mittel der Urmenschen, denen er selbst im Laufe immer ähnlicher geworden zu sein scheint, deren Lebensumstände er nachlebt, deren Gedanken er zu denken scheint. Knochen, Geweihe, Holz, eine Ahle mit einer primitiven Bronzespitze und natürlich der Stein selbst sind seine Arbeitsmittel. Pfeile, Sicheln und Äxte werden in mühevoller Kleinarbeit und schier unendlicher Geduld mit Wasser und Sand spiegelglatt und messerscharf geschliffen. Eine Flintsichel haben noch die im Buch Rut erwähnten Schnitter verwendet, weil erst zur Zeit von König David die Eisenzeit begann und Bronzewerkzeug für die Getreideernte nicht brauchbar war. Der Klebstoff, mit dem bei Sicheln, Pfeilen und Äxten Stein mit Holz und Naturfasern verbunden wird, entsteht aus Harz, Honig, Bienenwachs und Ton.
"Urmenschen nicht unterschätzen!"
Mit einem Anthropologen aus Holland diskutiert Ben-Ami, wie man am schnellsten ein Feuer entzündet. Der Funke entsteht, wenn man Feuerstein auf Feuerstein schlägt. Doch er springt noch besser, wenn man Eisen auf Stein schlägt, wobei es sich um möglichst hartes Schmiedeeisen handeln muss, das aber kein Mangan enthalten darf. Das Eisen muss sauber sein. Als Zunder eignet sich Flachs oder Baumwolle. Besser ist ein Pilz, den Dodi unter den Eukalyptusbäumen seiner Heimat sammelt. Der beste Zunder ist allerdings eine Pflanze – das hat er von den Beduinen im Sinai gelernt -, die er nur unter dem hebräischen Namen Zamranit HaSela´im kennt. Wir finden schließlich den lateinischen Namen heraus: Phagnalon rupestre. Das Internet verrät die deutsche Bezeichnung: "gewöhnliche Steinimmortelle" – ein unscheinbarer Korbblütler, der im gesamten Mittelmeerraum heimisch zu sein scheint.
"Man darf die Urmenschen nicht unterschätzen!", mahnt Dodi, der mittlerweile selbst das Flair der von ihm so bewunderten prähistorischen Zeitgenossen ausstrahlt: "Die haben viel gewusst und ihr Wissen auf hohem Niveau praktisch umgesetzt." Zur Herstellung von Steinwerkzeugen muss man die unterschiedlichsten Flinttypen und ihre Qualität genau kennen. In der Bibel werden Flintwerkzeuge mehrfach erwähnt, etwa als Skalpell für die Beschneidung. "Feuersteinmesser sind nicht nur scharf wie eine Rasierklinge", weiß Dodi, "sondern auch steril, wenn sie erst direkt vor dem Einsatz hergestellt werden."
Geboren wurde der israelische Steinzeitmensch wenige Monate nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Dezember 1939 in Tel Aviv. Der Junge sollte David heißen, nach seinem Großvater. Orthodoxe Juden vergeben den Namen der Großeltern an die Enkel allerdings nicht, solange diese noch leben. Die Eltern des frischgebackenen Vaters waren aber in der Ukraine verschollen. Erst Jahre später wurde bekannt, dass die ganze Großfamilie – der Vater hatte dreizehn Geschwister -, soweit sie nicht vorher nach Palästina ausgewandert war, ihr Leben verloren hatte, als deutsche Einsatzkommandos in der Ukraine an einem Tag 9.000 Menschen ermordeten. Das war jedoch unmittelbar nach der Geburt noch nicht klar. Deshalb wurde der Neugeborene "Dodi" – "Liebling" – genannt.
Wie der Vater, so der Sohn
Der Familienname des Vaters war "Pliszczin", was in der hebräischen Gemeinschaft des britischen Mandats kurzerhand, weil klangähnlich, zu "Plischtin" wurde: "Philister". Dodis Onkel Dov hatte sich über seinen politisch nicht ganz korrekten Namen lustig gemacht, einmal mit "Goliath" vorgestellt – und war so sein Leben lang als "Goliath Plischtin", "Goliath, der Philister", bekannt. Für den jungen Dodi war sein Familienname eine ernsthafte Belastung. Bis heute ist ein verbissener Unterton zu hören, wenn er bemerkt: "Wenn es einen echten Palästinenser gibt, dann bin ich das!" In der 5. Klasse entledigte er sich dieser Hypothek kurzerhand, indem er sich dem Lehrer mit dem Nachnamen "Ben-Ami" – "Sohn meines Volkes" – vorstellte. Ahnungslos schrieb der Pädagoge den Namen "Dodi Ben‑Ami" ins Klassenbuch. Der Schwindel flog erst auf, als Dodis Vater bei einem Elternabend als "Herr Ben‑Ami" aufgerufen wurde. Empört wollte er die Eigenwilligkeit seines Sohnes zurechtrücken. "Er war sehr hartnäckig", erinnert sich Dodi heute schmunzelnd an seinen Vater, "aber ich war noch hartnäckiger!" Deshalb trägt der Sohn noch heute den Nachnamen, den er sich als Fünftklässler zugelegt hat – und der Vater ist mit dem Nachnamen "Ben‑Ami" gestorben.
Dodis Mutter stammte aus Weißrussland. In den 1920er Jahren war ihre gesamte Familie den Kommunisten, Hunger und Typhus zum Opfer gefallen. Ein Onkel, der Jahre zuvor nach Palästina ausgewandert war und dort mit seinen Kamelen Sifsif, den grobkörnigen Muschelsand, transportierte, verkaufte die Hälfte seiner Kamele, und reiste nach Österreich, um seine Nichte zu retten. Doch nach Russland konnte er nicht reisen, weil er sonst in die Sowjetarmee zwangsrekrutiert worden wäre. So schickte er Boten, die Dodis Mutter schließlich halb verhungert – sie war 16 Jahre alt und wog 35 Kilo – zu ihrem Onkel brachten. In Palästina konnte sie ein neues Leben beginnen, engagierte sich in einem Oratorienchor und lernte – da ist sich Dodi ganz sicher – beim Einüben von Beethovens "Ode an die Freude" seinen Vater kennen.
Bald nach dem Zweiten Weltkrieg kamen die Überlebenden aus dem europäischen Holocaust im britischen Mandat Palästina an. "Ich bin mit den Leuten, die MiScham – ‚von dort‘ – kamen, aufgewachsen", erzählt Dodi: "Deswegen wohnten wir Kinder mit den Eltern in einem Zimmer." Im Nachbarzimmer wohnte ein Schneider mit seiner Frau und seiner Schwester, die das KZ Buchenwald überlebt hatten. Die Schwester war etwas "verrückt". "Was machte man dagegen?", fragt der Erzähler und beantwortet seine Frage gleich selbst: "Man besorgte ihr einen Freund." Nur durch einen Rolladen von der "Verrückten" und ihrem Freund getrennt erlebt er die Traumatherapie der beiden unfreiwillig mit. Nächtelang schildert die junge Frau ihrem Partner in Einzelheiten, was sie im KZ bei Weimar erlebt hat. "Das hat bis heute einen furchtbaren Kloß in meinem Bauch hinterlassen", beschließt er die Schilderung dieses Lebensabschnitts, den er im Rückblick trotz der ständigen ägyptischen Luftangriffe als eher unbeschwert empfindet. "Zwischen den Aufenthalten im Bunker habe ich Geigespielen gelernt. Das war schon in Ordnung."
Ein Nichtakademiker wird zum Ratgeber der Elite
Die eigentlichen Probleme begannen erst mit der Schule. Keiner erkannte, dass Dodi an einer schweren Form der Dyskalkulie leidet. "In Geschichte und Literatur war ich immer sehr gut. Aber Mathe und Physik gingen beim besten Willen nicht. Niemand wollte mir glauben, dass ich nicht rechnen kann", hebt er heute noch hilflos die Hände: "Sie machten mir das Leben zur Hölle." So wurde der Junge von einer Schule nach der anderen verwiesen – bis er nach der 9. Klasse entschied, selbst zu lernen. Im Alter von 15 Jahren verzog er sich in die Bibliothek des Beit Bialik in Tel Aviv und büffelte vier Tage in der Woche neun Stunden täglich nach einem selbst erstellten Plan mit einer unglaublichen Selbstdisziplin. In einem Institut belegte er Vorlesungen in Zoologie und Biologie. Abends besuchte er Kurse in Zeichnen und Bildhauerei und legte so – weitgehend als Autodidakt – die Grundlage dafür, dass er heute ein Nichtakademiker ist, bei dem die akademische Elite seines Fachs Rat sucht.
Mittlerweile hatte er seinen Lebensmittelpunkt von Tel Aviv am Mittelmeerstrand in den Kibbutz Ein Gev am Ostufer des Sees Genezareth verlegt. Dort verdiente er seinen Lebensunterhalt als Fischer – "täglich haben mich die Syrer beschossen" – und lernte Rachel kennen, eine geschiedene Frau, die sechs Jahre älter war und eine Tochter aus erster Ehe hatte. Sie war gerade aus Brasilien nach Israel eingewandert. "Zehn Minuten, nachdem ich sie das erste Mal gesehen hatte, hatte ich mich verliebt. Zehn Tage später hat sie endlich Ja gesagt. Drei Monate danach waren wir verheiratet. Ich war gerade zwanzig", schwärmt der Mann mit den schwieligen Händen und dem knorrig anmutenden Gesicht noch vier Jahrzehnte später. Bald wurde eine weitere Tochter, später ein Sohn geboren. Im Mai 1966 verließ die Familie den Kibbutz. Dodi: "Ich hatte es satt, dass mir jeder in die Erziehung reden wollte. Das sind meine Kinder!"
Ein Jahr später führte Dodi Ben-Ami seine Kameraden durch die Minenfelder die Golanhöhen hinauf. "Vom Fischerboot aus hatte ich genau beobachtet, wo die Syrer gefahren waren, von wo aus sie mich beschossen haben." Während des Sechstagekrieges machte er sich dieses Wissen als Soldat zu Nutzen – und begann die eroberten Höhen als Mitarbeiter der Naturschutzbehörde zu erkunden. Auf Wildschweinpfaden wanderte er durch die atemberaubende Landschaft und entdeckte unter anderem den Brichat HaMeschuschim, den "Teich der Sechsecke", eine der Perlen der israelischen Natur. Als einer der Ersten zog er mit seiner Familie in das heute wieder syrische Kuneitra und initiierte die erste Feldschule auf den Golanhöhen. Danach wohnten die Ben-Amis einige Monate im Kibbutz HaGoschrim, dann in Rosch Pina bis zum Yom-Kippur-Krieg im Oktober 1973.
In der Zeit nach dem Oktoberkrieg fand sich Dodi auf der Sinaihalbinsel wieder. Die Armee machte sich seine einzigartige Begabung zu Nutze, die ihn auch zu einem begabten Archäologen gemacht hatte, mit Intuition und großer Geduld einen Zustand zu rekonstruieren. Er arbeitete mit in einem Team, das Vermisste auf Schlachtfeldern im Sinai ausfindig machte. Akribisch rekonstruierte er einen ausgebrannten Panzer, stellte fest, wie das Fahrzeug zerstört worden war und ermöglichte schließlich, dass die gefallenen Kameraden nicht in einem Massengrab die letzte Ruhe fanden, sondern in Einzelgräbern.
"Gott, es sind Heiden in dein Erbe eingefallen"
Er hat Tränen in den Augen, wenn er sich daran erinnert, wie sie am Suezkanal einen verschütteten Schützengraben öffneten. Die Ägypter hatten die Leichen der Israelis einfach hineingeschoben, mit Benzin übergossen und angezündet. Nach tagelanger Arbeit unter den misstrauischen Augen von ägyptischen und UNO-Offizieren entdeckte Dodi in dem Massengrab ein Schofar. Nach Abschluss der Arbeiten hatte er auch das Widderhorn gesäubert und überredete den anwesenden Militärrabbiner, es zu blasen. Nicht nur die israelischen Offiziere salutierten, sondern auch der Vertreter von Scotland Yard, zwei russische und zwei schwedische Offiziere – was schließlich auch die anwesenden ägyptischen Offiziere dazu verführte, stramm zu stehen. Dazu wurde der Psalm 79 verlesen, dessen Worte Dodi heute noch aus dem Gedächtnis zitiert: "Gott, es sind Heiden in dein Erbe eingefallen … Sie haben die Leichname deiner Knechte den Vögeln unter dem Himmel zu fressen gegeben … Herr, wie lange willst du so sehr zürnen? … Rechne uns die Schuld der Väter nicht an, erbarme dich unser bald! …"
1975 gehören Rachel und Dodi Ben-Ami zu den Gründern der ersten israelischen Stadt auf den Golanhöhen, Kazrin, wo sie seither wohnen. In Ein Gev hatte Dodi die ersten prähistorischen archäologischen Stätten entdeckt. Von Anfang an hatte ihn die Frage fasziniert, wie die Menschen damals ihre Werkzeuge und Waffen, deren Reste er gefunden hatte, wohl hergestellt haben. Experten von der Hebräischen Universität und aus Dänemark sind über die Fähigkeiten des Autodiktaten Ben‑Ami erstaunt – und weihen ihn in ihre Erkenntnisse ein. In jahrelanger Arbeit vervollständigt er mit unendlicher Geduld und Hartnäckigkeit seine praktischen Fähigkeiten.
Ein Computer verändert Dodis Leben
Ende der 1990er Jahre lernt er im Rahmen des Kampfes gegen die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien Christen aus Deutschland und Holland kennen. Die Spende eines Computers verändert das Leben des Mannes, der ein Leben lang von seiner Dyskalkulie verfolgt worden war. "Das war, als hätte man einem Menschen, der keine Beine hat, Krücken gegeben und ihm das Laufen beigebracht", strahlt Dodi. "Der Computer und das Internet haben mir die Welt eröffnet, den Kontakt zu Kollegen rund um den Globus hergestellt. Und der Computer hat mir geholfen, endlich die Gedanken zu Papier zu bringen, die ich seit vielen Jahren im Kopf hatte." Der kleine Gedichtband, dessen Veröffentlichung ihm Freunde zum 70. Geburtstag schenken, ist "Rachel, meiner Freundin, meiner Geliebten" gewidmet und erzählt – so frei übersetzt der Titel – "Von Steinen und andere Liebesgeschichten".