Nach der Aufnahme "Palästinas" als Vollmitglied muss die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, UNESCO, auf gut 22 Prozent ihres Gesamtetats verzichten. Die USA haben angekündigt, ihre Zahlungen an die Organisation unverzüglich zu stoppen und sparen somit 60 Millionen Dollar ein, die im November fällig geworden wären. Ein schon vor 15 Jahren vom amerikanischen Kongress beschlossenes Gesetz legt fest, dass alle Zahlungen an UN-Organisationen einzustellen sind, wenn diese "Palästina" als Vollmitglied aufnehmen sollten. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte bereits vor der Abstimmung der UNESCO-Vollversammlung in Paris davor gewarnt, dem palästinensischen Antrag stattzugeben. Die zuständige Staatssekretärin im Außenministerium, Martha Kanter, bezeichnete die Aufnahme als "verfrühten und kontraproduktiven Schritt". UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte die UNESCO bereits auf, nach praktischen Lösungen für ihren Haushalt zu suchen.
Während Italien, Großbritannien, Dänemark und Ungarn sich bei der Abstimmung am Montag enthielten, stimmte Frankreich für den Antrag der Palästinenser – obwohl das französische Außenministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) zuvor nahegelegt hatte, ihren Antrag zurückzuziehen. Die Bundesrepublik Deutschland stimmte mit Nein – wie auch die USA, Israel, Kanada, Australien, Schweden, die Niederlande und sieben weitere Nationen. 107 Staaten stimmten für den Antrag der PA.
SPD, Grüne und Linke kritisieren deutsches Nein
Die Opposition in Deutschland kritisierte das Abstimmungsverhalten der Bundesregierung. SPD-Fraktionsvize Gernot Erler sprach im ZDF von einem "absoluten Desaster" und warf der schwarz-gelben Bundesregierung einen "mangelnden Willen" vor, für eine einheitliche Abstimmung Europas zu sorgen. Deutschland stehe wieder als "handlungsunfähig" da. Wie das Nachrichtenmagazin "Focus" berichtet, kommt heftige Kritik auch von den Grünen und der Linkspartei. Kerstin Müller, außenpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, sprach von einem "beklagenswerten Bild der Uneinigkeit" in der EU, an dem Deutschland die Hauptschuld trage. "Denn Deutschland ist neben den Niederlanden offensichtlich der Staat, an dem das Vorhaben einer gemeinsamen Enthaltung aller EU-Staaten gescheitert ist." Die Einstellung der US-Zahlungen an die UNESCO nannte Müller "kontraproduktiv".
Wolfgang Gehrcke von der Bundestagsfraktion der Partei "Die Linke" bezeichnete es als "peinlich", dass die Bundesregierung gegen den Antrag der Palästinenser gestimmt hat. Er wertete ihre Aufnahme als ein "positives Zeichen für den Friedensprozess im Nahen Osten" und warnte ebenfalls vor einem Stopp des Geldflusses aus den Vereinigten Staaten.
Das Auswärtige Amt verteidigte seine Position. Wie ein Sprecher des Ministeriums erklärte, sei die Bundesregierung der Ansicht, dass die Aufnahme "Palästinas" in die UNESCO negative Auswirkungen auf den Nahost-Friedensprozess haben könnte. Das berichtet die Deutsche Presse-Agentur (dpa). Der Antrag könne die erst kürzlich unter Vermittlung des Nahost-Quartetts begonnenen, ohnehin schon schwierigen indirekten Gespräche zusätzlich belasten.
Israel dankt für Nein-Stimmen
Israel wies die Entscheidung der UNESCO-Vollversammlung, "Palästina" als Vollmitglied aufzunehmen, zurück. In einer Erklärung des Außenministeriums heißt es dazu, es handele sich um "einen einseitigen palästinensischen Schritt, der keinen echten Fortschritt bringen und dafür die Möglichkeiten für ein Friedensabkommen verringern wird". Eine Wiederaufnahme von Verhandlungsgesprächen mit der PA werde dadurch erschwert. "Israel dankt jenen Ländern, die einen Sinn für Verantwortung gezeigt haben und in der Vollversammlung der UNESCO gegen diese Entscheidung gestimmt haben. Es ist enttäuschend, dass die Europäische Union, die für die Wiederaufnahme direkter Verhandlungen eintritt und den palästinensischen Schritt nicht unterstützt, in dieser Frage nicht zu einer einheitlichen Position gefunden hat." Seine weitere Kooperation mit der UNESCO wolle Israel überdenken.
Die PA reagierte erwartungsgemäß begeistert auf die Entscheidung der UNESCO. Ein Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sprach von einem "Tag des Jubels". Auch die im Gazastreifen herrschende Hamas schloss sich dem Jubel an. Die Palästinenser erhoffen sich von der Entscheidung eine positive Signalwirkung für ihren Aufnahmeantrag als Vollmitglied der Vereinten Nationen, über den seit September im UN-Hauptquartier in New York beraten wird.