"Toll, großartig, geil, au weia, da ist wohl was passiert, schön, reines Feuerwerk, alle Ehre, wow." Voller Entzückung filmt Scharon Ackermann in Be´er Scheva das Schauspiel am schwarzen Nachhimmel und kommentiert. Erst heult die Luftschutzsirene und dann sieht man weiße Schweife aufsteigen, die wegen der wackelnden Kamera wie Würmer aussehen. Bmum. Am Himmel trifft ein weißer Schweif und lässt kurz einen gelbroten Stern aufleuchten, also eine abgeschossene Gradrakete. Bumm. Alarmanlagen von Autos gehen los. "Mensch, bin ich stolz, das alles mit meiner Kamera eingefangen zu haben", schreibt Ackermann auf Hebräisch zu seinem 2:43 Minuten langen Filmchen, bei Youtube ins Internet hochgeladen.
Innerhalb weniger Minuten hagelten sechs Gradraketen auf Israels südlicher Großstadt Be´er Scheva nieder. Es gab einen "überflüssigen" Toten, während Ärzte noch um das Leben einer jungen Frau kämpfen. Zwei Kinder erlitten schwere Verletzungen nach einem Volltreffer auf ihr Haus, das kurz darauf in Flammen aufging.
Israels vielgelobtes Abwehrsystem "Stahlkappe" fängt nur einen Teil der Gradraketen aus dem Gazastreifen ab. Das sind längst keine "selbstgebastelten" Kurzstreckenraketen mehr, sondern im Iran weiterentwickelte 122 Millimeter-Mittelstreckenraketen auf der Basis der alten sowjetischen "Stalinorgeln" des Zweiten Weltkriegs. Mit einer Reichweite von 70 Kilometern sorgen sie seit Donnerstag dafür, dass etwa eine Million Israelis in Luftschutzkellern ausharren.
"Nur wer sich aus Neugierde auf die Straße gewagt hat, wurde getroffen und das ist überflüssig", schimpfte Polizeiminister Yitzhak Aharonovich in die stundenlang live aus Be´er Scheva in alle Haushalte sendenden Fernsehkameras. Im Rundfunk werden sogar Reklamespots unterbrochen, wenn es "Rote Farbe, Rote Farbe" gibt, das Codewort für einen Raketenangriff. Innerhalb von 50 Sekunden müssen die Menschen im Umkreis von 70 Kilometern rund um den Gazastreifen dann einen sicheren Ort, etwa ein Treppenhaus finden, oder sich "auf den Boden werfen und die Hände schützend über den Kopf halten".
Der Schlagabtausch begann am Donnerstagmittag. Mutmaßlich 20 Mitglieder der extremistischen, Al-Qaida nahen, "Volkswiderstandskommittees" (PRC) aus dem Gazastreifen hatten sich schon vor einem Monat in die Sinaihalbinsel begeben und mehrere gleichzeitige Attacken auf die grenznahe Landstraße 12 nach Eilat geplant. Der israelische Geheimdienst wusste von den Plänen, aber nicht genau, wann die Täter zuschlagen würden. In der Nacht zum Donnerstag lagen nach Eilat verlegte Spezialeinheiten im Hinterhalt. Am Morgen verließen sie ihre Posten.
Niemand hätte gedacht, dass die "Terroristen" (in internationalen Medien auch als "Bewaffnete", "Angreifer" oder "Extremisten" bezeichnet) am helllichten Tag zuschlagen würden, als ägyptische Polizisten verkleidet, von einem ägyptischen Grenzposten aus. Die "Bewaffneten" hatten Panzerfäuste, Sprengfallen, Mörsergranaten und Maschinengewehre mitgebracht. Geplant waren Selbstmordattentate, Schüsse auf Linienbusse und Autos von Urlaubern, Sprengfallen gegen Militärfahrzeuge und Ambulanzen sowie Geiselnahmen israelischer Soldaten und Zivilisten. Dafür standen Autos auf der ägyptischen Seite im Sinai bereit. Gemäß israelischen Geheimdiensterkenntnissen diente der Angriff der Hisbollah auf eine israelische Militärpatrouille am 12. Juli 2006 als Vorbild. Damals wurden zwei Soldaten in den Libanon entführt. Das war der Auslöser des Zweiten Libanonkrieges.
"Ich sah, wie Männer in ägyptischen Tarnuniformen auf meinen Bruder Mosche und auf meine Schwägerin Flora schossen. Dann erledigten sie beide mit finalen Todesschüssen aus null Distanz", erzählte Dani Gez. Er fuhr hinter seinem Bruder her und konnte sich trotz angeschossener Reifen retten. "Ich musste untätig zuschauen, wie sie umgebracht wurden, sonst würde auch ich jetzt begraben werden."
Die israelische Regierung erteilte den Militärs grünes Licht, noch im Laufe der "rollenden Anschlagsserie" ein Haus in Rafah im Süden des Gazastreifens gezielt zu bombardieren, wo sich die Spitze der PRC versammelt hatte, um die Attentate zu leiten. Das allein zeigt, wie gut die Israelis informiert waren.
So begann ein "Zermürbungskrieg", wobei sich möglicherweise auch die regierende Hamas am Beschuss Israels mit etwa 100 Raketen beteiligte, während die israelische Luftwaffe neben Waffenfabriken auch gezielt Befehlshaber palästinensischer Kampfgruppen und Raketenschützen in ihren Stellungen abschoss.
Ausgerechnet in der Nacht zum Sonntag, als Be´er Scheva und Aschdod unter gezielten Raketenbeschuss genommen wurde, gab es keine israelischen Angriffe auf den Gazastreifen. "Warum schweigt die israelische Armee jetzt, wo wir getroffen werden, während sie vorher mit ihren Angriffen die Raketenangriffe provoziert hatte"?, fragte erbost ein Mann aus Be´er Scheva.
Am Sonntagmorgen ging der Raketenbeschuss weiter. Die Turnhalle einer Schule wurde getroffen. Wegen der Sommerferien wurde niemand verletzt oder getötet. Insgesamt explodierten allein am Sonntagvormittag jeweils acht Raketen in Be´er Scheva und in der Hafenstadt Aschdod. Am Mittag attackierte erneut die israelische Luftwaffe in Beit Lahija, im Norden des Gazastreifens. Zudem nahm Israel über 120 Hamasaktivisten in der Gegend von Hebron im Westjordanland fest.
Dieser Kleinkrieg werde noch "einige Tage" weitergehen, meinten israelische Experten und Politiker.