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Warum steht Israel in den Medien so schlecht da?

Es ist eine der häufigsten Fragen, die von Reisegruppen hier in Israel gestellt wird. Natürlich sind es Israelfreunde, die das so sehen. Aber selbst Leute, die mit etwas mehr emotionalem Abstand das Heilige Land kennenlernen, fragen: Warum ist das, was wir hier sehen, so anders als das, was uns in Zeitung, Radio und Fernsehen vermittelt wird?

Die Beantwortung dieser Fragen ist nicht einfach. Eigentlich müsste man eine gründliche medienwissenschaftliche Untersuchung zugrunde legen. Jede eindimensionale Antwort wird der vielschichtigen Realität der europäisch-israelischen Beziehungen genauso wenig gerecht, wie der Wirklichkeit im Nahen Osten. Trotzdem will ich einige Gedankenanstöße wagen:

1) Die gesellschaftliche und politische Lage im Nahen Osten ist bei weitem vielschichtiger, als man das in kurzen Nachrichtenclips darstellen kann.

Berichterstatter müssen auf den Punkt kommen, pauschalisieren. Dabei spiegeln sie die Diskussion auf der politischen Bühne wider, die ebenfalls vereinfachen muss, weil sie verstanden werden und Entscheidungen ermöglichen will.

So gibt es nicht wenige Palästinenser, die profitieren vom Siedlungsbau und wohnen selbst in israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Gleichzeitig habe ich selbst gehört, wie orthodoxe Juden am Grabe Jasser Arafats vom alleinigen Recht der Palästinenser auf das Land zwischen Jordan und Mittelmeer geschwärmt haben. Zwischen diesen beiden Antipolen gibt es im Heiligen Land praktisch jede nur denkbare Meinung in jedem nur vorstellbaren Kopf.

Wer die Lage und den Konflikt im Nahen Osten verstehen will, kommt nicht umhin, sich auch mit langwierigen, manchmal langweiligen, in jedem Fall aber komplizierten historischen, geistes- und theologiegeschichtlichen, sowie sozialen Entwicklungen auseinander zu setzen. Das heute übliche Infotainment prädestiniert zu einer verzerrten Wahrnehmung.

2) Wir bemühen uns um Äquidistanz, bei zwei Gesellschaften, die in fast allen Aspekten des täglichen Lebens nicht unterschiedlicher sein könnten.

So ist in Israel jede Meinung erlaubt. Ein israelischer Moslem darf öffentlich vertreten, dass Juden „die Nachfahren von Affen und Schweinen sind“. Israelische Parlamentsmitglieder betreiben erklärtermaßen die Auflösung des jüdischen Staates Israel. In der Palästinensischen Autonomie dagegen muss nicht nur ein Moslem, der sich für den christlichen Glauben entscheidet, um sein Leben fürchten. Auf Landverkauf an Juden und Kollaboration mit Israel steht ganz offiziell die Todesstrafe.

Wenn die eine Gesellschaft ihre Kinder als Schutzschilde und Waffen missbraucht, während die andere alles tut, um menschliches Leben zu schützen und menschliches Leiden zu lindern; wenn eine Seite das Leid ihrer Menschen zur Schau stellt und propagandistisch ausschlachtet, während die andere die Persönlichkeitsrechte des Einzelnen und eine gewisse Schamgrenze achtet; wenn eine Seite offen sagt: „Wir lieben den Tod!“ – und gleichzeitig der anderen hämisch vorwirft, ins Leben verliebt zu sein, wird äquidistantes Verhalten zur Mittäterschaft.

Beim israelisch-palästinensischen Konflikt kann man nicht einfach fragen: „Was sagen die Juden?“ – „Was sagen die Araber?“ Man muss immer auch erklären, wer aus welchem Hintergrund, mit welcher Motivation und in welchem Kontext was sagt, um dann zu einer angemessenen Einordnung der jeweiligen Aussage kommen zu können. Dabei steht nicht einfach nur ein palästinensischer Narrativ der israelischen Sichtweise gegenüber – während die Wahrheit irgendwo in der Mitte zu suchen wäre. Nicht selten stehen Wahrheit und Lüge einander direkt gegenüber – und eine objektive Beurteilung darf sich nicht scheuen, einseitig auf Seiten der Wahrheit zu stehen. Das gilt auch dann, wenn die Seite, für deren Sache eigentlich die Wahrheit spricht, um des Friedens willen bereit ist, Kompromisse einzugehen, und deshalb historische Tatsachen unter den Teppich kehrt.

3) Die schärfsten Kritiker des jüdischen Volkes und die wirkungsvollsten Feinde Israels sind Juden.

Besonders fatal wirkt sich dabei aus, das es gerade für Israelkritiker sakrosankt und über jede saubere Recherche erhaben ist, wenn ein Jude Kritisches über sein eigenes Volk oder dessen Staat sagt.

Der hier angesprochene Mechanismus hat eine uralte Tradition. So übernehmen Christen nicht selten bedenkenlos die Kritik des Neuen Testaments am jüdischen Volk – dürften aber ihrer eigenen Obrigkeit in Staat oder Kirche niemals vergleichsweise respektlos begegnen, wie das der Jude Jesus gegenüber seiner jüdischen Obrigkeit getan hat. Von der zynischen Ironie des Rabbiners Paulus oder der vernichtenden Kritik alttestamentlicher Propheten ganz zu schweigen. Heutzutage werden jüdische Witze, die gerade wegen ihrer Selbstkritik so gut sind, antisemitisch, wenn ein Nichtjude sie weitererzählt.

Ein besonders gutes Beispiel für vorprogrammierte Verzerrung ist hier der „Corruption Perception Index“ der Organisation „Transparency International“. Dieser Korruptionsindex, dessen Erkenntnisse regelmäßig zitiert werden, misst nicht etwa den Korruptionsgrad eines Landes, sondern wie Korruption in einer Gesellschaft wahrgenommen wird. Bei einem Vergleich Israels mit einem westlichen Land wäre vor einer abschließenden Bewertung deshalb die Frage zwingend, ob Israel nun korrupter oder schlicht selbstkritischer ist als die Gesellschaft im Vergleich. Je nach Land könnte es nämlich durchaus sein, dass dieser Index letztendlich nicht die Korruption einer Gesellschaft misst, sondern deren Transparenz.

An dieser Stelle muss auch die jüdische und israelische Kritik an der „ethnischen Säuberung“ der Palästinenser in der Zeit der Staatsgründung angesprochen werden. Dass Juden diese Kritik an ihrem eigenen Volk und Staat üben, ist in Ordnung und bewundernswert. Wenn allerdings Außenstehende oder gar Araber diese Kritik übernehmen, ohne auf die „ethnische Säuberung“ der Juden in der arabischen Welt einzugehen, muss das als blanker Antisemitismus bezeichnet werden.

Tatsache ist, dass in der Mitte des 20. Jahrhunderts zwischen Israel und der arabischen Welt de facto ein Bevölkerungsaustausch stattgefunden hat, wobei die jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Ländern dort flächenmäßig ungefähr viermal so viel Landbesitz zurücklassen mussten, wie die Fläche des gesamten Staates Israel umfasst. Wollte man die materiellen Verluste gegeneinander aufwiegen, müssten die Araber Israel entschädigen. Auch wird oft verschwiegen, dass ein Bevölkerungsaustausch in jener Zeit bei vielen Konflikten weltweit als Lösung versucht wurde. Und schließlich muss bedacht werden, dass die Araber im Blick auf eine ethnische Säuberung viel erfolgreicher waren, als die Juden. Juden muss man heute in der arabischen Welt mit der Lupe suchen, während zwanzig Prozent der israelischen Bevölkerung Araber sind.

4) Gott hat das Schwache erwählt.

Das sagt uns die Bibel. Deshalb steht eine Gesellschaft, die sich christlich geprägt wähnt, reflexartig auf der Seite dessen, der sich besser als der Schwächere darzustellen versteht. Wenn ein Kind einem Panzer gegenüber steht, erübrigen sich für viele Menschen der westlichen Gesellschaft weitere Fragen, auch wenn diese durchaus berechtigt wären. Etwa: Wo ist der Vater des Kindes, der sich eigentlich zwischen den Panzer und seine Familie stellen müsste? In diesem Themenbereich lässt sich am besten zeigen, dass ein Bild mehr als Tausend Worte sagt. Nachdenken wird scheinbar überflüssig.

Bei alledem bleibt natürlich die Frage:

Warum steht Israel so sehr und so einseitig im Fokus unseres Interesses?

Woher weiß die öffentliche Meinung in Deutschland so schnell, wer im Recht, wer im Unrecht, wer verantwortlich und wer der Bösewicht ist, wenn sich beispielsweise Türken und Israelis, Juden und Moslems eine Propagandaschlacht auf hoher See liefern? Warum sind viele Deutsche angesichts des Leidens von Palästinensern, das möglicherweise von Juden verursacht wurde, so engagiert betroffen – während sie der Tod von Tausenden Arabern, die von Arabern abgeschlachtet werden, vollkommen kalt lässt? Das zu beurteilen traue ich mir nicht zu, weil ich dazu in die Herzen einzelner Menschen sehen können müsste.

Aber die Schuld einfach und glatt den Medien in die Schuhe zu schieben, will mir auch nicht gefallen. Ich habe noch nie einen Zeitungsleser getroffen, der seine Zeitung liest, um sich die Meinung machen zu lassen. Im Gegenteil: So ziemlich alle Leser, die ich persönlich kennengelernt habe, wollen als mündige Persönlichkeit ernst genommen werden. Andererseits habe ich schon manchen Journalisten getroffen, der meinte: Das könnte ich so nie schreiben! Da würde ich meinen Job verlieren! Auch habe ich nicht selten erfahren, dass Leser Sanktionen oder gar die Entlassung von Journalisten fordern, die Unliebsames zu schreiben wagen.

Könnte es sein, dass uns die Einseitigkeit der Berichterstattung über Israel zeigt, dass Medien immer eine Zweibahnstraße sind? Dass Journalisten immer Leser brauchen – vielleicht viel mehr als umgekehrt? Und dass wir nur gemeinsam, wenn wir als Medienmacher und Medienverbraucher bewusst am selben Strang ziehen, unsere Medienlandschaft verändern und das Diktat der Political Correctness – wer auch immer dasselbe verordnet hat – durchbrechen können?

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