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Peres: „Einzigartige Freundschaft zwischen Deutschland und Israel“

Die Befreiung von Auschwitz symbolisiert nicht nur die Erinnerung an die Ermordeten, sondern auch die "Tragödie des Versäumnisses". Dies sagte Israels Staatspräsident Schimon Peres am Mittwoch in einer Sondersitzung des Bundestages zum internationalen Holocaust-Gedenktag. Dieser wird am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers begangen.

„Heute begehen wir den internationalen Gedenktag für die Opfer der Schoah“, sagte Peres in seiner Gastrede. „Genau heute vor 65 Jahren schien nach sechs Jahren Dunkelheit zum ersten Mal die Sonne. Die ersten Sonnenstrahlen legten das Ausmaß der Zerstörung, die mein Volk erlitten hatte, für alle bloß. Der 27. Januar 1945 kam zu spät. Sechs Millionen Juden waren bereits nicht mehr unter den Lebenden.“

Der israelische Präsident wies darauf hin, dass in Israel und überall auf der Welt die Zahl der Überlebenden der Schoah täglich abnehme. „Und gleichzeitig leben auf deutschem Boden, in Europa und anderswo auf der Welt noch immer Menschen, die damals dieses schrecklichste Ziel verfolgten – den Völkermord. Ich bitte Sie: tun Sie alles, um diesen Verbrechern ihre gerechte Strafe zu erteilen. In unseren Augen handelt es sich nicht um Rache. Es geht um Erziehung. Es sollte eine Stunde der Gnade für die jüngere Generation sein. Die Jugend muss sich erinnern, darf nicht vergessen und muss wissen, was geschehen ist. Sie darf niemals, wirklich niemals, an etwas anderes glauben, sich andere Ziele setzen als Frieden, Versöhnung und Liebe.“

In seiner Ansprache betonte Peres, dass sich Deutschland nach der NS-Diktatur erneuert habe: „Ich stehe heute, an diesem Gedenktag, vor Ihnen, verehrte Zuhörer, vor Führungspersönlichkeiten und Vertretern eines anderen, demokratischen Deutschlands – als Vertreter des jüdischen Staates, des Staates der Überlebenden, des Staates Israel. Mir sind die Tragweite und die erschütternde Bedeutung dieser Sitzung bewusst, und ich hoffe und bin sicher, Ihnen geht es ebenso.“

Der Israeli erzählte von seinem Großvater, der mit der jüdischen Gemeinschaft seines Ortes in Weißrussland in die Synagoge getrieben und dort verbrannt wurde. Peres selbst war bereits 1934 nach Palästina gelangt. Die Schoah werfe schwierige Fragen zur tiefsten Seele des Menschen auf: „Wie böse kann der Mensch sein? Wie gelähmt ein ganzes Volk? Ein kulturelles Volk, das auch die Philosophie respektierte? Zu welchen Gräueltaten ist der Mensch fähig? Wie kann er seinen moralischen Kompass abstellen?“

„Warum hatten die Nazis Angst vor den Juden?“

Noch heute stelle sich die Frage, weshalb die Nazis in der Existenz der Juden eine solche Gefahr und Bedrohung gesehen hätten, fügte Peres hinzu. „Was brachte sie dazu, in diese Todesindustrie derart viel zu investieren? Wieso setzten die Nazis ihren Plan bis zum bitteren Ende fort, obwohl die Niederlage sich schon längst am Horizont abzeichnete? (…) Und wenn wir Juden in den Augen des Hitler-Regimes eine so bedrohliche Gefahr waren, dann handelte es sich doch bestimmt um keine militärische, sondern eine moralische Bedrohung. Dabei wurde auch der Glaube geleugnet, dass jeder Mensch im Antlitz Gottes erschaffen ist; dass jeder Mensch vor Gott gleich ist, dass alle Menschen ebenbürtig sind.“

Der israelische Präsident verwies auf den „Schöpfungsgeist der deutschen Juden“, die sich „mit ihrem Heimatland identifizierten, und deren Beitrag zur Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft und für Deutschland überhaupt so bedeutungsvoll war, dass er in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Größe der jüdischen Gemeinde stand“.

Nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur hätten sich die beiden historischen Persönlichkeiten Konrad Adenauer und David Ben Gurion über dem Abgrund die Hand gereicht. Daraus habe sich im Laufe der Jahre zwischen Deutschland und Israel eine einzigartige Freundschaft entwickelt. In diesem Zusammenhang dankte Peres den Deutschen für ihre materielle und moralische Unterstützung.

Die jüdische Geschichte verlaufe weiterhin auf zwei parallelen Achsen, sagte Peres: „Auf der einen Seite die ethische, die bereits in den Zehn Geboten festgehalten ist, diesem Dokument, das vor ungefähr 3.500 Jahren niedergeschrieben wurde und seither nicht mehr redigiert werden musste. Es gehört zum Fundament der westlichen Kultur. Und andererseits die wissenschaftliche Achse, deren Ziel die Ergründung der Geheimnisse ist, die dem menschlichen Auge bisher verborgen blieben, und die unser Leben zu ändern vermögen.“

Tych: „Verantwortung auch bei Polen und anderen suchen“

Zweiter Gastredner war der polnische Historiker Feliks Tych, der die Judenverfolgung unter einer falschen Identität überlebt hat. Eine „arische“ Lehrerin nahm ihn auf und gab ihn als ihren Neffen aus. Der Rest seiner Familie wurde hingegen ermordet. „Meinem rational denkenden Vater kam gar nicht in den Sinn, dass wachsender Terror und zunehmende Schikanen gegenüber Juden schließlich mit deren Vernichtung enden könnten“, berichtete Tych. „Dies schien ihm unvorstellbar, weil gänzlich irrational und im Widerspruch zu Deutschlands Interessen, das doch Krieg führte und Arbeitskräfte brauchte. Er erinnerte sich noch an die weit weniger brutale deutsche Besatzung im 1.Weltkrieg. So habe ich ihn oft sagen hören: ‚Hitler hin, Hitler her, aber die Deutschen sind kein Volk von Mördern!‘ Was er in den letzten Minuten seines Lebens in Treblinka dachte, werde ich niemals erfahren.“

In seiner Forschung setzt sich der Pole für eine integrierte Sichtweise des Holocaust ein. Vor drei Jahren hat er im Jüdischen Historischen Institut Warschau ein interdisziplinäres Forschungsprojekt begonnen. Dabei wird nicht ausgeklammert, dass die Nürnberger Gesetze und die Initiative zur Judenvernichtung von Deutschland ausgingen. Doch beziehen die Wissenschaftler die Mitverantwortung der Einheimischen in mit den Nazis verbündeten oder besetzten Ländern mit ein.

„In den ersten 50 Jahren nach dem Holocaust wurde dieser in Europa fast ausschließlich als deutscher Völkermord wahrgenommen, was für eine Reihe von Ländern sehr bequem war“, sagte Tych in seiner Ansprache vor dem Bundestag. „Dort wurde das Thema Jahrzehnte lang freiwillig tabuisiert oder marginalisiert. Keine staatliche Zensur war nötig. Seit den 1990er Jahren wird dieser Unschuldsmythos in der historischen Forschung zunehmend in Frage gestellt. Als die Holocaustforschung intensiviert wurde, stand aber weiterhin eine ganze Armee von Hofhistorikern zur Verteidigung der ’nationalen Ehre‘ bereit. Inzwischen sehen immer mehr Historiker das Beschweigen als probates Mittel zur Geschichtsfälschung als unvereinbar mit ihrem Berufsethos an und präsentieren auch bittere Wahrheiten über die Kriegs- und Nachkriegsgeschichte.“

Sein Fazit: „Die Rezeption des Holocaust, mit dem ein moralischer Gattungsbruch vorliegt, bleibt solange unvollständig und verzerrt, solange eine europäische Komplizenschaft beim deutschen Staatsverbrechen, das hier in Berlin geplant und von hier aus gelenkt wurde, nicht Bestandteil des europäischen historischen Bewusstseins ist.“

Lammert: „Rückkehr des jüdischen Lebens ist wunderbar“

Bundestagspräsident Norbert Lammert würdigte die deutsch-israelischen Beziehungen. Den Gründervätern und ersten Regierungschefs beider Länder, David Ben Gurion und Konrad Adenauer, gebühre Dank dafür, „dass trotz der tiefen Gräben zwischen beiden Völkern wieder Vertrauen aufgebaut und die Grundlagen dafür gelegt wurden, was man heute im Positiven die ‚besonderen Beziehungen‘ zwischen Deutschland und Israel nennt: Wir Deutschen tragen eine Mitverantwortung für den Staat Israel. Wo sein Existenzrecht und die Sicherheit seiner Bevölkerung bedroht sind, wo das Recht, in sicheren Grenzen zu leben, gefährdet ist, gibt es für uns Deutsche keine Neutralität. Wir Deutsche haben für die Existenz und die Sicherheit Israels eine historisch begründete besondere Verantwortung. Manches ist verhandelbar, das Existenzrecht Israels nicht. Ein atomar bewaffneter Staat in seiner Nachbarschaft, geführt von einem offen antisemitisch orientierten Regime, ist nicht nur für Israel unerträglich. Die Weltgemeinschaft darf eine solche Bedrohung nicht dulden.“

Lammert fügte hinzu: „Und ganz besonders beeindruckend, geradezu wunderbar: Jüdisches Leben ist nach Deutschland zurückgekehrt. Nach der Schoah schien es unvorstellbar, dass es in Deutschland jemals wieder blühende jüdische Gemeinden geben könnte. Mittlerweile wachsen die jüdischen Gemeinden in Deutschland, und jede Synagoge, die neu oder (wieder)eröffnet wird, bringt uns ein Stück näher zu dem Ziel, das Paul Spiegel hoffnungsvoll die ‚Renaissance des Judentums‘ genannt hat. Wir sind dankbar für jede junge Pflanze wieder erwachenden jüdischen Lebens, jüdischer Kultur.“

Der CDU-Politiker wies auf die „Topographie des Terrors“, die Anfang Mai in Berlin eröffnet werden soll: “ Die neue Dokumentationsstätte steht auf den Fundamenten der ehemaligen Hauptquartiere von Gestapo, SS und dem ‚Reichssicherheitshauptamt‘. Vermutlich gibt es keinen anderen Ort, von dem aus in so diabolischer Weise Mord und Terror geplant und organisiert wurden.“

Je weiter der Holocaust in die Vergangenheit rücke, je weniger Zeitzeugen unter uns lebten, desto wichtiger werde es, das Bewusstsein für die besondere geschichtliche Verantwortung Deutschlands wach zu halten. Dazu gehörten Erhalt und Pflege authentischer Orte, betonte Lammert. „Orte, an denen wir dem Leid der Opfer nachspüren können, genauso wie Orte, an denen sich die Verbrechen der Täter dokumentieren lassen.“ Wie die Dokumentationsstätte „Topographie des Terrors“. „Hier werden nationalsozialistischen Verbrechen konkrete Adressen und Personen zugeordnet, hier wird die europäische Dimension der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft sichtbar, hier wird erfahrbar, von wo aus und von wem die Befehle zu millionenfachem Mord ausgingen; darunter auch der Befehl, Auschwitz zu errichten, Anfang 1940, vor genau 70 Jahren.“

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