Am 13. Dezember 1993 begannen unter Papst Johannes Paul II. die diplomatischen Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel. Lewy wurde im Mai 2008 als Botschafter akkreditiert. Nach eigenen Angaben hat er stets danach gestrebt, „unter Diplomaten als Historiker zu gelten und unter Historikern als Diplomat“. Nun sei er als „theologischer Diplomat“ tätig.
Der Botschafter stellte dar, wie sich die päpstliche Perspektive gegenüber dem Zionismus und später dem jüdischen Staat im Laufe der Jahrzehnte verändert hat. Der Vortrag in der alten Aula der Universität stand unter dem Thema: „Von Verleugnung zur Akzeptanz – zur Genese und Entwicklung der Beziehungen des Heiligen Stuhls zum Staat Israel“. Eingeladen hatte die Hochschule für Jüdische Studien.
Einst habe der Vatikan die zionistische Idee abgelehnt. Dazu zitierte der Botschafter aus einer offiziellen Reaktion auf den ersten zionistischen Kongress von 1897 und aus dem Bericht über ein Treffen zwischen Papst Pius X. und Theodor Herzl im Jahr 1904. Gleichzeitig regte er ein Forschungsprojekt über die frühen Kontakte zwischen dem Vatikan und der zionistischen Bewegung beziehungsweise der jüdischen Bevölkerung im Heiligen Land (Jischuw) an.
Die führenden Zionisten Herzl und Nahum Sokolow hätten Zugeständnisse an den Vatikan gemacht, fügte Lewy hinzu. So versicherten sie, ein jüdischer Staat werde die katholischen Interessen im Heiligen Land respektieren. Auch deuteten sie an, dass Jerusalem nicht die Hauptstadt werden solle – „das wäre heute undenkbar“. Der Vatikan hingegen forderte, dass Jerusalem und Bethlehem als „Corpus separatum“ international würden. Ein Teil hiervon floss in den UN-Teilungsplan ein, über den die Vollversammlung am 27. November 1947 abstimmte. Diese Position habe der Vatikan bis heute formal nicht aufgegeben. Deshalb werde immer aus Tel Aviv berichtet.
Neue Offenheit
Der Vatikan habe sich jedoch an neue Realitäten anpassen müssen, sagte der Botschafter weiter. Lange hat der Kirchenstaat den Staat Israel nicht anerkannt. Anfangs glaubte er nicht, dass es den Unabhängigkeitskrieg überleben werde. Ein enzyklischer Brief forderte im Mai 1949 eine Rückkehr zum Status quo vor dem Teilungsplan. Israels erste Dekade sei geprägt gewesen von ständigen diplomatischen Bemühungen. Doch erst in den Jahren 1962 bis 1965 entstand im Vatikan eine neue Offenheit. Der Kirchenstaat habe sich einen Platz im modernen öffentlichen Diskurs erobern wollen.
Diese Offenheit wurde konkret in der Schrift „Nostra Aetate“, die allerdings bei den lateinischen Kirchen im Orient auf Widerstand stieß. Paragraphen über die Muslime seien eingeschoben worden, um ihnen „die bittere jüdische Pille“ leichter zu machen. „Israel begrüßt jede päpstliche Äußerung, in der öffentlich auf ‚Nostra Aetate‘ eingegangen wird – auch wenn es sich um eine Wiederholung handelt“, betonte der israelische Diplomat.
In der neuen Haltung sieht Botschafter Lewy auch ein Ergebnis der ständigen israelischen Kontrolle über die heiligen Stätten seit 1967. Einerseits habe der Vatikan eine „Strategie der konsequenten Nichtanerkennung von Israels Herrschaft über Jerusalem“ verfolgt, weil er sich nicht von eigenen Vorstellungen trennen wollte. Andererseits sei klar geworden, dass er seine diplomatischen Interessen unter einer israelischen Kontrolle besser vertreten könne als unter muslimischer Aufsicht.
Entwicklung auch bei Papstbesuchen sichtbar
Lewy ging auch auf die bisherigen Papstbesuche im Heiligen Land ein. Paul VI. habe 1964 ein klares Zeichen der Nichtanerkennung gegeben. Er wollte den Patriarch von Jerusalem treffen und eine Pilgerreise machen. Treffen mit ranghohen israelischen Politikern fanden nicht statt.
Im Jahr 2000 waren die Feierlichkeiten zum Jubiläum der Anlass für den Papstbesuch. Der jüdische Staat hatte keine formelle Einladung ausgesprochen. „Erst im Nachhinein wurde an Israels Tür geklopft“, berichtete der Botschafter. Johannes Paul II. traf den Präsidenten in dessen Residenz und blieb „länger als geplant“ in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Auch habe er Krakauer Juden getroffen und an der Klagemauer Gott um Vergebung gebeten. „Dadurch wurde der Besuch historisch.“
Der Nachfolger Benedikt XVI., der sein Amt im Jahr 2005 antrat, sei wiederholt nach Israel eingeladen worden, habe es aber nicht eilig gehabt. Im November 2008 begannen „erste operative Schritte für den Wunsch, in die Fußstapfen des Vorgängers zu treten“, wie es der Diplomat formulierte. Israel schlug vor, dass Israelis gemeinsam mit dem Papst im neuen Garten der Residenz des israelischen Präsidenten einen Olivenbaum pflanzen sollten. Das Oberhaupt der katholischen Kirche verwies auf den Römerbrief, in dem Paulus die Christen als „aufgepfropften Ölzweig“ bezeichnet. Lewy sprach von einer „Inszenierung, bei der beide Seiten punkten konnten“.
Jede Bewegung des Papstes sei „von den Medien beobachtet“ worden. „Die Vatikan-Diplomatie arbeitete auf Hochtouren.“ Keine Sensibilitäten von Israelis, Palästinensern und Jordaniern seien vernachlässigt worden, stellte der Botschafter fest. „Und am Ende waren alle zufrieden.“ Die Besuche von Johannes Paul und Benedikt hätten offenbar eine Tradition begründet, bei der das Programm von 2000 als Vorlage diene. Bei Lewys Akkreditierung hatte Papst Benedikt dem Herrn gedankt, dass dem jüdischen Volk eine Heimstätte gewährt wurde. „Das war gleichzeitig ein Segen für den 60. Jahrestag.“
Synagogenbesuch als Abschluss
Den geplanten Papstbesuch in der römischen Synagoge sieht Lewy als eigentlichen Abschluss der Israelreise. Denn die Beziehungen zur jüdischen Gemeinde von Rom – der ersten auf europäischem Boden – seien am problematischsten. In diesem Zusammenhang berichtete er von 14 Kartons mit lateinischen und hebräischen Begrüßungsformeln, die im Archiv des Vatikan entdeckt wurden. Sie kamen im 19. Jahrhundert im jüdischen Ghetto von Rom zum Einsatz, wenn das katholische Kirchenoberhaupt seine Inaugurationsprozession abhielt. Der Fund soll während des Besuches am 17. Januar 2010 dem Papst als Erstem gezeigt werden. „Damit schließt sich ein historischer Kreis.“ Auch ein wissenschaftliches Kolloquium sei geplant.
Eine Besonderheit des Kirchenstaates seien die langen Amtszeiten: „Der Vatikan ist die Mutter der Stabilität, was Regierungswechsel angeht.“ Die Frage nach dem derzeitigen Stand der Beziehungen würde der Botschafter mit Simson Rätsel aus dem biblischen Buch der Richter beantworten: „Und aus dem Bitteren kam das Süße“.