Der Generalanwalt, dessen Vorlagen üblicherweise vom Europäischen Gerichtshof unwidersprochen angenommen werden, habe laut Medienberichten einem Wunsch der Europäischen Kommission entsprochen, ein Exempel zu statuieren. Dabei geht es um die Rechtssache C-386/08, „Brita GmbH“ gegen das Hauptzollamt Hamburg-Hafen. Die israelische Firma wollte ihr Produkt, das Leitungswasser in Sprudelwasser verwandelt, zollfrei nach Deutschland importieren. Auf dem Gerät steht „Made in Israel“.
Die deutschen Zöllner haben schon vor längerer Zeit die Anweisung erhalten, israelische Produkte genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie sollen nicht nur das Herkunftsland, sondern auch den Herstellungsort verifizieren. Nachdem der deutsche Zoll den Sitz des Unternehmens in Máaleh Adumim im Westjordanland, also in israelisch besetztem Gebiet, östlich von Jerusalem ausgemacht hat, wurden der Brita GmbH 19.155,46 Euro Zollgebühren in Rechnung gestellt.
Es ist nichts gegen den Herzenswunsch der europäischen Bürokraten einzuwenden, klare Verhältnisse zu fordern, zumal die Europäer mit Israel sowie mit der Palästinensischen Autonomiebehörde Verträge für zollfreie Lieferungen in die EU abgeschlossen haben. Nachvollziehbar ist auch der Wunsch nach Klarheit, weil in Deutschland immer schon klare Verhältnisse herrschten: etwa als es noch die DDR gab und Schlesien polnisch „besetztes Gebiet“ war, bis Kanzler Kohl vor 20 Jahren die Oder-Neiße Linie östlich von „Mitteldeutschland“ zur Grenze erklärte.
Palästinenser würden arbeitslos
Es ist auch nichts gegen den europäischen Widerspruch zur israelischen Siedlungspolitik einzuwenden, wonach die „besetzten Gebiete“ vom Präferenzstatus Israels ausgeschlossen seien. Sehr verständlich ist das europäische Anliegen, zehntausende Palästinenser in die Arbeitslosigkeit schicken zu wollen. Weil sie wegen der „Mauer“ keinen Zugang mehr zu Arbeitsplätzen in Israel haben, finden sie weiterhin Arbeit in israelischen Fabriken in den Siedlungen.
Doch die Europäer, in Person des Generalanwalts Yves Bot, begeben sich auf dünnes Eis, wenn es im Schlussantrag heißt: „In diesem Zusammenhang erinnert der Generalanwalt daran, dass die Grenzen Israels durch den Teilungsplan für Palästina festgelegt wurden, der am 29. November 1947 von den Vereinten Nationen angenommen wurde.“
Ein Blick auf die UNO-Landkarte von 1947 bezeugt, dass mehrere große israelische Städte von der EU ausgeschlossen werden. Die Formulierung des Anwalts Bot ist gewagt, denn 1947 gab es Israel noch nicht. Damals war die Rede von einem „jüdischen Staat“, eine Formel, welche die arabischen Staaten und die Palästinenser bis heute strikt ablehnen.
Die Feststellung, dass dieses nach EU-Vorstellungen die „festgelegten Grenzen“ Israels seien, enthält noch weitere Brisanz. Der Großraum Jerusalem mitsamt Bethlehem sollte laut UNO-Plan internationalisiert und dem UNO-Sicherheitsrat unterstellt werden. Beide Städte sollen weder dem jüdischen noch dem arabischen Staat zugeschlagen werden. Und was Bot als „festgelegt“ bezeichnet, war ein UNO-Beschluss, den die Juden akzeptierten, die Araber aber ablehnten. Deswegen gab es mehrere Kriege, die neue Wirklichkeiten im Nahen Osten schufen – jedoch ohne „Klarheit“ im Sinne Europas.
Anerkannte Oslo-Verträge würden aufgehoben
Sollte die Vorlage mit ihren Formulierungen vom Europäischen Gerichtshof akzeptiert werden, müssten die Osloer Verträge zwischen Israel und der PLO aufgehoben werden. Denn Bethlehem dürfte dann nicht zum palästinensischen Autonomiegebiet gehören. Auch die handgeschnitzten Weihnachtskrippen aus Olivenholz müssten dann mit einem Zoll belegt werden. Da die palästinensischen Autonomiegebiete laut Vertrag allein auf die Städte im Westjordanland und den Gazastreifen beschränkt sind, müssten gemäß europäischer Logik palästinensische Produkte mit Zöllen belegt werden, die in „israelisch besetztem Gebiet“ außerhalb der Autonomiegrenzen hergestellt werden. Die Osloer Verträge sind völkerrechtlich anerkannt.
Und falls der Europäische Gerichtshof so mutig das Rad der Geschichte im Nahen Osten zurückdreht, könnten vielleicht Amerikaner, Russen, Tschechen, Polen und andere Kriegsparteien des Zweiten Weltkriegs auf die Idee kommen, ebenso das Rad der Geschichte in Europa zurückzudrehen. Der Phantasie wären da keine (Zoll-)Grenzen gesetzt.