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Nach der Räumung: Hebron kocht – das Recht verdampft

In der "Stadt der vier Väter" ist der Siedepunkt erreicht. Nachts brennen Autos und werden antiarabische und antiislamische Parolen, wie etwa "Tod den Arabern" oder "Mohammed ist ein Schwein", an die Wände von Häusern und Moscheen gesprüht. Tagsüber bewerfen teils vermummte jüdische Jugendliche ihre arabischen Nachbarn und israelische Polizisten mit Steinen.

Die Sicherheitskräfte stehen hilflos herum. Manchmal greifen sie mit Schlagstöcken und Tränengas ein. Bilder von blutüberströmten Gesichtern machen die Diskussionen noch hitziger. Dutzende von israelischen Polizisten, Palästinensern und jüdischen Siedlern wurden bereits verletzt. Ein 15-jähriger Junge erlitt durch einen Stein einen Schädelbruch. Die israelische Armee wirft rabbinischen Lehrern vor, wegzusehen, wenn ihre Schüler die Schule schwänzen, um an der Hausbesetzung und den Straßenschlachten in Hebron teilzunehmen.

Nach jüdischer Tradition liegen in der Stadt vier „Väter“ begraben: Abraham, Isaak, Jakob und Adam. Deshalb trägt Hebron schon in biblischer Zeit den Namen „Kirijat Arba“, „Stadt der Vier“. Bei den Arabern ist die Stadt als „Chalil“ bekannt, was zurückgeht auf den Stammvater „Ibrahim“, der als „Chalil“ („Freund“) Allahs bezeichnet wird. Gleich nach Jerusalem rangiert der Ort als heilige Stätte des Judentums, denn schon Abraham hat den hethitischen Ureinwohnern des Landes Kanaan die legendäre Höhle Machpela abgekauft, die auch der Eingang zum Garten Eden sein soll. Hebron war die erste Residenzstadt des Königs David. Erst in den Jahren 1929 und 1935/36 wurde die jüdische Gemeinde mit einer Jahrhunderte alten Tradition durch arabische Pogrome endgültig ausgelöscht. Deshalb ist Hebron wie kaum ein anderer Ort emotionaler Brennpunkt des biblischen Anspruchs, den Juden auf das Land Israel erheben. Heute ist sie die einzige Stadt, in der eine jüdische Gemeinde inmitten einer palästinensisch-arabischen Bevölkerung lebt.

Der Reibungspunkt schien klar: Extremistische jüdische Siedler hatten ein arabisches Haus an einem strategisch wichtigen Punkt besetzt. Diese Provokation erhöhte die sowieso schon vorhandene Spannung. Eine unwillige Regierung und verwirrte Sicherheitskräfte ließen den gewaltbereiten Jugendlichen freien Lauf. „Das Problem ist nicht das Verhalten der Siedler, sondern ihre Gegenwart im besetzten Hebron“, polterte das arabische Mitglied der Knesset, Dr. Dschamal Sahalka: „Die israelische Regierung hat sie dorthin gebracht und ist somit verantwortlich für ihre barbarischen und faschistischen Aktivitäten.“ Der israelisch-arabische Parlamentarier forderte eine „sofortige Evakuierung der Siedler aus Hebron“.

Todesstrafe für Verkauf an Nichtmoslems

Doch bei genauerem Hinsehen wird alles sehr kompliziert. Das „Beit HaSchalom“ („Haus des Friedens“), wie es von den jüdischen Siedlern genannt wird, wurde rechtlich einwandfrei gekauft. Der palästinensisch-arabische Besitzer Fajes al-Radschabi hatte den Verkauf an Mittelsleute vor laufender Videokamera getätigt – und war gleich darauf nach Jordanien geflohen. Denn nach palästinensischem Recht steht auf den Verkauf von Land und Immobilien an Nichtmoslems die Todesstrafe. Deshalb ist es in solchen Fällen auch gang und gäbe, als palästinensischer Landverkäufer im Nachhinein öffentlich zu behaupten, die Juden hätten sich das Eigentum widerrechtlich angeeignet. Das ist nicht nur international politisch korrekt, sondern kann unter Umständen im palästinensischen Umfeld auch lebensrettend sein. Interessant ist jedenfalls das palästinensische Schweigen in diesem Fall. Denn eigentlich geht es beim „Haus des Friedens“, das besser als „Haus des Streits“, „Beit HaMerivah“, bekannt ist, gar nicht um einen Streit zwischen Arabern und Juden, Palästinensern und Israelis.

Aufgrund eines Beschlusses des Obersten Gerichts Israels schwebte nun aber das Damoklesschwert der Räumung über dem „Beit Schalom“, das zum „Beit Merivah“ wurde – und von Journalisten, die neutral bleiben wollen, „Beit HaChum“, „das braune Haus“, genannt wird. Seit Wochen bereiteten sich dessen Bewohner auf die Auseinandersetzung mit der Armee und Polizei vor. Unter den Unterstützern der jüdischen Siedler, die aus dem ganzen Land anreisten, ist auch die Siedlerführerin Daniela Weiss aus Kedumim in Samaria. Sie gelobte: „Wir werden keine Christen sein, welche die andere Wange hinhalten. Wir werden die Soldaten nicht umarmen, wie die Siedler im Gusch Katif“ – im Gazastreifen im September 2005. „Wir werden der Räumung des Friedenshauses mit mehr Gewalt widerstehen, als der Räumung von Amona“, das vor ein paar Jahren den Albtraum der blutigen Gewalt von Juden gegen Juden zur Wirklichkeit werden ließ.

Doch was ist nun tatsächlich der Hintergrund des Räumungsbefehls in Hebron und der Unruhen? – Der Regierung in Jerusalem und dem Staatspräsidenten Schimon Peres geht es um das Ansehen Israels in der Welt. Wenn vor den Augen aller Welt in Hebron weiter „gesiedelt“ wird, ist das ein Widerspruch zum vor einem Jahr in Annapolis wieder einmal gelobten Siedlungsstopp – so könnte man meinen. Denn während in Hebron gestritten und an anderen Stellen mit Räumung gedroht wird, werden in Judäa und Samaria große Flächen neu bebaut oder für den Bau vorbereitet. Wenn Hebron die Vertragstreue der israelischen Regierung im Blick auf irgendeinen ominösen Friedensprozess unter Beweis stellen soll, ist es lediglich ein schlecht gehaltenes Feigenblatt.

Den Hebron-Siedlern fehlt aber nicht nur das Wohlwollen ihrer Regierung, sondern auch die Unterstützung des offiziellen Siedlerrates in Judäa und Samaria. Spätestens seit dem Rückzug aus dem Gazastreifen ist dieser „Moetzet Jescha“ in sich zerrissen. Zu allen ideologisch-religiösen Streitigkeiten kommt hinzu, dass Siedler westlich des Zaunes, die sich sicher fühlen, Siedlern gegenüber stehen, die auf der palästinensischen Seite des Zauns leben – und sich von einer Räumung bedroht sehen. „Gemeinsam mit den Linken und der Regierung will der Siedlerrat und die Gesellschaft Amana, die im Namen der Siedler Landkäufe in den besetzten Gebieten tätigt, jeden niedermachen, der sich nicht ihren Vorstellungen unterordnet“, vertraut mir ein Israeli in der Nähe von Hebron an.

Betreibt Barak Wahlkampf mit Hebron-Thema?

Eine weitere Theorie, die im Wilden Westen des Nahen Ostens kursiert, gründet auf den allseits spürbaren Wahlkampf. Am 10. Februar 2009 muss ein neues Parlament gewählt werden. Ist das Verhalten von Verteidigungsminister Ehud Barak, dessen Arbeitspartei einst den Staat gegründet hat, heute aber um ihr politisches Überleben kämpft, reines Wahlkalkül? Will er durch die harten Aussagen über die Situation in Hebron vielleicht nur die Wählerstimmen im linken Spektrum gewinnen? – Wenn diese Theorie stimmt, müsste aber die Frage gestellt werden: Warum gingen Militär und Polizei dann so zögerlich vor? Lieferten ihnen die Ausschreitungen der letzten Wochen nicht jede Rechtfertigung für eine gewaltsame Räumung des „Beit Merivah“?

Übrigens, nur nebenbei bemerkt: Als „Siedlungsgründungspartei“ kann keine Partei Israels der Arbeitspartei von Ehud Barak Konkurrenz machen. Niemals sind die Siedlungen so stark gewachsen, wie unter den sozialdemokratischen Regierungen der vergangenen Jahre. Es sind die rechtskonservativen Nationalisten, die Land an die Araber abgegeben haben, nicht die Sozialdemokraten der „Avoda“. Das mag den offiziellen Politparolen widersprechen – doch die Fakten sprechen eine eindeutige Sprache! Vielleicht ist dann der Vorwurf, dass alles nur Wahlkalkül sei, das eigentliche Mittel, um die Verantwortlichen unter Druck zu setzen? Immerhin besteht die Möglichkeit, dass gerade im Vorfeld der Wahlen ein gestandener Politiker nur sehr ungern den Vorwurf einsteckt, er betreibe Wahlkampfpolitik.

Vielleicht ist der Grund für die Unentschlossenheit der israelischen Führung aber auch, dass selbst das, was eindeutig zu sein schien, unklar ist. Eigentlich war jedermann davon ausgegangen, das Oberste Gericht Israels hätte angeordnet, das umstrittene Haus zu räumen. Doch Rechtsanwalt Nadav HaEtzni, der die jüdischen Eigentümer vertritt, behauptete nun, das Oberste Gericht habe nicht angeordnet, dass das Haus geräumt werden „soll“, sondern, dass es geräumt werden „kann“. Und zwischen „Sollen“ und „Können“ besteht in diesem Falle ein großer Unterschied. Vizeverteidigungsminister Matan Vilnai bestätigte den Einwand des Rechtsanwalts: „Das ist korrekt!“, und fügte hinzu: „Aber es wird keinen Kompromiss geben, wenn’s ums Recht geht.“ Wenn aber schon das Recht schwammig ist, sieht auch die kompromisslose Durchsetzung des Rechts entsprechend aus…

Klar ist also nur: Die Lage bleibt verwirrend! Wer sich um das Ansehen Israels in der Welt sorgt, sei beruhigt: Die Welt ist vergesslich! – Oder aber: Da gibt es sowieso nicht allzu viel zu retten. Die Diskussionen des Wahlkampfs werden genauso und zeitgleich mit dem Schnee schmelzen, der noch gar nicht auf den Hermon gefallen ist. Was bleibt, ist lediglich der Streit um das verheißene Land, und dass ganz offensichtlich die Hemmschwellen immer niedriger werden – auf allen Seiten, vor allem aber innerhalb der israelischen Gesellschaft. Ende Oktober wurde das Wohnhaus des Hebron-Aktivisten Noam Federman mitten in der Nacht dem Erdboden gleich gemacht. Ohne Vorwarnung wurde eine kinderreiche Familie aus dem Schlaf gerissen und durfte kaum das Nötigste mitnehmen. Der Richter eines israelischen Bezirksgerichts soll dazu bemerkt haben: „So ist Gott nicht einmal mit Sodom und Gomorrha umgegangen.“ Wenn sich Anarchisten, ganz gleich welcher Couleur und mit welchen Mitteln, durchzusetzen vermögen, bleibt letztendlich immer der Rechtsstaat auf der Strecke. Staatspräsident Schimon Peres hat durchaus Recht, wenn er in seiner Rede am Grab von Staatsgründer David Ben Gurion meinte: „Jeder Stein auf einen Soldaten ist ein Steinwurf gegen den Staat Israel.“

Räumung drei Wochen nach Gerichtsbeschluss

Am Donnerstagnachmittag haben mehrere Hundert Grenzpolizisten das „braune Haus“ in Hebron innerhalb einer Stunde geräumt. Weder Soldaten noch Polizisten waren an der Räumung beteiligt. Einzig Grenzpolizisten räumten das Haus schweigend innerhalb einer Stunde. Das Haus wurde versiegelt. Weder Israelis noch Palästinenser dürfen das Haus betreten, das seither von einer Gruppe von Grenzpolizisten bewacht wird.

Jüdische Jugendliche zogen daraufhin randalierend durch Hebron, beschädigten palästinensisches Eigentum, rissen Weinstöcke aus, zündeten Autos und Häuser an und lieferten sich Schlägereien mit Palästinensern, teils vor laufender Kamera. Die jüdische Gemeinde in Hebron distanzierte sich uneingeschränkt von der Gewalt gegen ihre arabischen Nachbarn. Bis zum späten Nachmittag kam es zu Unruhen in ganz Judäa, Samaria und auch in Jerusalem, weil Sympathisanten der Hebroner Siedler Straßen sperrten und Autos mit Steinen bewarfen. Ganz Hebron wurde mittlerweile zur geschlossenen Militärzone erklärt.

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