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Explosion an Purim

Eigentlich ist Purim für das jüdische Volk ein Fest ausgelassener Freude darüber, dass es dem antiken persischen Judenfeind Haman nicht gelungen ist, ihr Volk auszulöschen. Für die Familie von Ami Ortiz aus Ariel im Herzen des biblischen Samaria begann in diesem Jahr aber eine Passionszeit, als der 15-jährige am frühen Nachmittag des Gründonnerstag das Päckchen öffnete, auf dem "Fröhliche Purim" stand. Die philippinische Putzfrau der Familie hatte es vor der Haustür der Wohnung im dritten Stock gefunden und in die Wohnung gebracht.

Ami Ortiz, das jüngste von sechs Kindern von David und Leah Ortiz, hielt die Bombe in den Händen, als sie explodierte und praktisch die ganze Wohnung verwüstete. „Es ist ein Wunder, dass Ami überhaupt noch am Leben ist“, meinte Aaron Hecht, ein Freund der Familie, der die Wohnung kurz nach dem Anschlag inspizierte. „Alles ist zerstört. Die Fenster sind zerbrochen, überall liegen Eisenteilchen und Betonstücke herum.“ Selbst die Fenster eines Autos, das auf der Straße vor der Wohnung, drei Stockwerke tiefer, geparkt war, sind kaputt.

David Ortiz, der Vater der Familie, stammt ursprünglich aus Puerto Rico. Vor etwa 20 Jahren ist er mit seiner jüdischen Frau Leah nach Israel eingewandert und leitet heute in Ariel, der größten israelischen Siedlung im nördlichen Westjordanland, eine kleine messianische Gemeinde. Ortiz hat eine Schlüsselfunktion inne im Blick auf die engen Beziehungen, die die Siedlerstadt, die wenige Kilometer nördlich der palästinensischen Autonomiestadt Nablus, dem biblischen Sichem, liegt, mit evangelikalen Christen aus aller Welt pflegt. Nicht zuletzt weil Ortiz eine beträchtliche finanzielle Unterstützung für Ariel vermittelt hat, schätzt ihn Bürgermeister Ron Nachman sehr.

Offensichtlich hatten sich die Attentäter vorgestellt, dass möglichst viele Mitglieder der Familie Ortiz verletzt oder getötet werden sollten, hätten sie um das „Geschenk“ herumgestanden und es gemeinsam geöffnet. Zum Purimfest bekommt jeder in Israel, der jüdische Freunde hat, Geschenke. Denn so hat es Mordechai, der Onkel der persisch-jüdischen Königin Ester, verordnet. Aus Freude über den Sieg über die Judenfeinde sollte nicht nur jährlich ein Festmahl veranstaltet werden, sondern auch „einer dem andern Geschenke und den Armen Gaben“ schicken (Ester 9,22). Diese biblisch-jüdische Sitte haben die Bombenleger offensichtlich genau gekannt und infam ausgenutzt.

Ein Nachbar, der den Knall hörte, eilte herzu und fand Ami schwer verletzt. Er rief einen Krankenwagen. Schwer verletzt wurde Ami ins Schneider-Kinderkrankenhaus nach Petach Tikva gebracht. Der Junge hatte viel Blut verloren. Im ganzen Körper waren Metallsplitter und im Gesicht, am Hals und an der Brust hatte er Verbrennungen zweiten und dritten Grades erlitten. Beide Arme sind gebrochen. Stundenlang wurde er operiert und noch Tage nach dem Anschlag im künstlichen Koma gehalten. Ein Splitter in der Lunge kann möglicherweise nicht entfernt werden. Am schlimmsten sind die Folgen eines Splitters, der aus Amis rechtem Auge entfernt wurde. Der Sehnerv wurde zwar nicht beschädigt, aber es bleibt fraglich, ob der Junge auf dem Auge sehen wird. Mindestens zwei Zehen mussten amputiert werden. Aber die Ärzte hoffen, seine Beine retten zu können.

Arabische und jüdische Gläubige aus ganz Israel kamen spontan nach Petach Tikva gereist, um der Familie Ortiz ihre Unterstützung zu bezeugen und sie zu ermutigen. Einige Tage nach dem Anschlag gestanden die Ärzte den Eltern von Ami: „So einen Heilungsprozess haben wir noch nie gesehen!“ Obwohl die meisten inneren Organe von Metallsplittern getroffen wurden, wurde keines und keine Arterie lebensgefährlich verletzt. Ein besonderes Wunder ist, dass Ami keinerlei Gehirnschaden hat. Trotzdem hat der Junge natürlich einen langen und schwierigen Weg der Genesung vor sich. Übrigens gibt es noch einen Verletzten durch den Anschlag: Dusty, den kleinen Hund der Familie Ortiz. Er scheint seitdem taub zu sein, frisst nicht mehr und es scheint ihm nicht gut zu gehen.

Doch wer steht hinter diesem Bombenanschlag auf eine achtköpfige Pastorenfamilie? Reflexartig deuteten die Finger in ganz unterschiedliche Richtungen – je nach politischer und religiöser Prägung. Säkulare israelische Medien mutmaßten, ein „Satanskult“ stehe hinter dem Anschlag. Die linksliberale Tageszeitung „Ha´aretz“ betonte, dass die israelische Polizei die messianische Bewegung als „Sekte“ betrachte, und dass deshalb ein Angriff von orthodoxen Juden nicht ausgeschlossen ist. Innerhalb der messianisch-jüdischen Bewegung richten sich die Blicke und Gedanken natürlich ebenfalls in Richtung auf die Antimissionsliga „Jad LeAchim“ und ihre Gesinnungsgenossen.

Die Missionsgegner, deren Organisation frei übersetzt „Hilfe für Brüder“ heißt, setzen Jesus-gläubige Juden und christliche Missionare vor allem psychisch und sozial unter Druck. Gelegentlich ist es auch schon zu Schlägereien gekommen, und in einigen Fällen wurden Brandsätze gelegt. Caleb Myers, ein Jerusalemer Rechtsanwalt, der die Interessen der messianischen Juden in Israel vertritt, erklärte, orthodox-jüdische Antimissionsagitatoren versuchten, die messianische Bewegung in Israel besonders in orthodoxen Tageszeitungen zu dehumanisieren. Vor eineinhalb Jahren waren in Ariel Flugblätter im Umlauf, auf denen unter anderem Pastor Ortiz abgebildet war. Die Pamphlete warnten vor der Missionstätigkeit unter den Juden der Stadt.

Jad-LeAchim-Leiter Rabbi Schalom Lipschitz bezeichnete die messianische Bewegung zwar als „Feinde des jüdischen Volkes“, distanzierte sich aber eindeutig von jeglicher gewaltsamen antimissionarischen Tätigkeit. Ein Bombenanschlag, der so gezielt auf das Töten von Menschen angelegt ist, wäre in der Tat eine neue Eskalation im Verhältnis zwischen orthodoxen und messianischen Juden, die Auswirkungen auf die Lage aller Jesus-gläubigen Juden in Israel hätte.

Das Ehepaar Ortiz wurde von einer großen New Yorker Gemeinde ursprünglich ausgesandt, um unter den Arabern im Westjordanland zu missionieren. Entsprechend dieser Hauptzielgruppe berichtet denn David Ortiz auch darüber, dass er neben den Anfeindungen von Seiten orthodoxer Juden vor allem von Muslimen bedroht worden sei. Seit Jahren pflegt er zu Jesus-gläubigen Menschen mit muslimischem Hintergrund enge Kontakte. Während seines Reservedienstes beim israelischen Militär, so berichten Freunde, soll er Neue Testamente an Hamasleute verteilt haben. Wenn in den vergangenen Jahren immer wieder Berichte über Verfolgung und Folterung von Muslimen, die sich zu Jesus bekehrt haben, aus dem Großraum Nablus berichtet wurde, war David Ortiz eine der Hauptquellen.

Ortiz selbst berichtet, er sei bei seinen häufigen Besuchen in den um Ariel herum liegenden palästinensischen Dörfern einmal verprügelt worden, und einmal sei eine Brandbombe auf sein Fahrzeug geworfen worden. Sowohl die Hamas, als auch der von Jasser Arafat eingesetzte ehemalige Großmufti von Jerusalem, Scheich Ekrima Said al-Sabri, haben spätestens seit Mitte der 90er Jahre Todesurteile gegen Ortiz veröffentlicht. Insofern ist es nicht erstaunlich, dass die Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden – ein militärischer Arm der Fatah-Bewegung von PA-Präsident Mahmud Abbas – die Verantwortung für den Anschlag in Ariel übernommen hat. Dass diese Gruppe tatsächlich für den Anschlag auf Ami Ortiz verantwortlich ist, konnte allerdings bislang nicht unabhängig verifiziert werden.

Aus Polizeikreisen in Ariel wurde anfangs berichtet, dass der Sprengsatz vom Gründonnerstag sehr viel Metallsplitter enthalten habe und der Sprengstoff offensichtlich von Arabern hergestellt worden sei. Ganz bestimmt wurde die Bombe nicht von einem Amateur zusammengestellt und war darauf ausgerichtet, mehrere Menschen zu töten.

Die Polizei ermittelte sofort in alle Richtungen und beschlagnahmte auch das Mobiltelefon von David Ortiz, um zu überprüfen, ob seine persönlichen Kontakte auf eine heiße Spur führen. Auch die Überwachungskameras, die die Familie Ortiz seit einiger Zeit installiert hat, könnten weitere Hinweise auf die Täter liefern. Mittlerweile hat der israelische Inlandsgeheimdienst die Ermittlungen übernommen, und ein Gericht hat eine Nachrichtensperre verhängt. Dann wurden Gerüchte laut, es stünden doch keine Islamisten hinter dem Anschlag, der ein ziemlicher Schlag gegen das israelische Sicherheitsgefühl wäre. Immerhin wäre es dann arabischen Terroristen möglich, nicht nur eine Privatwohnung in einer israelischen Siedlung gezielt auszukundschaften, sondern auch eine ganz bestimmte Familie zu treffen.

Durch den Purim-Anschlag vom Gründonnerstag 2008 sind die messianische Bewegung und ihre Schwierigkeiten wie nie zuvor ins Licht der israelischen Öffentlichkeit gerückt. Insgesamt ist die Einstellung der Medien gegenüber der Familie Ortiz sehr positiv. Nirgends wurde ihr Glaube an Jesus Christus oder der Zusammenhang zwischen der Einstellung der Familie und dem Anschlag verhehlt. Howard Bass, Pastor der Nachalat-Jeschua-Gemeinde im südisraelischen Beer Schewa, wurde von der englischsprachigen „Jerusalem Post“ zitiert und durfte über die jahrelangen Probleme berichten, die seine Gemeinde mit orthodoxen Juden hat. Ebenso wurde über die Probleme der Gemeinde „Chasdei-Jeschua“ in Arad berichtet.

Auch mit dem inhaltlichen Anliegen messianischer Juden setzt sich die israelische Öffentlichkeit seither intensiver auseinander. Die Tageszeitung „Ha´aretz“ zitierte einen messianischen Juden: „Wir glauben an die Tora Israels und den Gott Israels, und dass Jesus, der ein Jude war, keine Absicht hatte, eine neue Religion zu gründen. Wir akzeptieren Jesus als Messias. Das Neue Testament verstehen wir als Fortsetzung des Alten Testaments.“ Besonders betont wurde die Loyalität messianischer Juden gegenüber dem Staat Israel. So haben auch die fünf älteren Geschwister von Ami Ortiz ihren Wehrdienst in der israelischen Armee geleistet.

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