„In der Beurteilung des Konfliktes zwischen Israelis und Palästinensern müssen Beobachter zwischen den aktuellen und historischen Tatsachen und eigenen Interpretationen unterscheiden. Nur so kann eine ausgewogene Berichterstattung über den Nahost-Konflikt ermöglicht werden.“ Das sagte Johannes Gerloff (Jerusalem), Korrespondent von Israelnetz.de, am Montagabend bei einem Vortrag im Sächsischen Landtag in Dresden.
Der Vortrag vor rund 700 Politikern, Vertretern aus Wirtschaft und Medien sowie Interessierten und Mitgliedern israelischer Organisationen fand im Rahmen der Veranstaltungsreihe des „Johann-Amos-Comenius-Club Sachsen“ statt. Initiator der Veranstaltung war der Abgeordnete des Sächsischen Landtages und Vorsitzende der CDU-Fraktion im Landtag, Dr. Fritz Hähle (Dresden).
Ziel des „Johann-Amos-Comenius-Club“ sei es, die „Wurzeln unserer gesellschaftlichen Kultur wieder mehr ins Bewußtsein zu rücken“, sagte Hähle in seiner Einführung der Veranstaltung. Zu diesen Wurzeln gehöre auch die Geschichte des Volkes Israel, die im sogenannten Alten Testament niedergeschrieben sei. „Die Geschichte Israels hat die Mehrheit unserer Gesellschaft noch im Gedächtnis, hier können wir anknüpfen“, sagte Hähle.
Israelnetz-Korrespondent Johannes Gerloff machte deutlich, daß es angesichts der Bilder, die Zuschauer beinahe täglich aus Israel erreichen, unmöglich sei, „objektiv“ zu bleiben. „Steinewerfende Jugendliche, schwerbewaffenete Soldaten an Straßensperren, Panzer, zerstörte Häuser und immer wieder Palästinenser, denen das Leid ins Gesicht geschrieben steht“ sei eine Seite der Bilder. „Auf der anderen Seite sind es zerfetzte Autobusse, zerstörte Einkaufszentren oder was von Straßencafés nach einem Bombenanschlag noch übrig geblieben ist. Dazwischen die Überreste von Menschen, die noch wenige Augenblicke vorher einem normalen Leben nachgegangen sind“, so Gerloff.
Betroffenheit auf Seiten des Zuschauers sei „natürlich, gut und förderlich“. Doch Betroffenheit und Mitleid müsse „durch eine klare, rationale Analyse zu Entscheidungen führen, die als Grundlage für eine echte Hilfe dienen können. Vorschnelle, emotionale Entscheidungen aufgrund eines ersten, schockierenden Eindrucks können zu einer fatalen Fehlbeurteilung der Gesamtlage führen“, sagte Gerloff.
Zudem sei auch ein vor Ort geführtes Gespräch mit Israelis oder Palästinensern lediglich ein persönlicher Eindruck, jedoch nicht repräsentativ für die Gesamtlage. Um ein möglichst getreues Bild der Situation und Ereignisse im Nahost-Konflikt zu erhalten, sei es vielmehr entscheidend, bei den Darstellungen beider Seiten zwischen Fakten und Deutung zu unterscheiden und auch die historische Entwicklung zu beachten.
An einem Beispiel machte Johannes Gerloff die Konflikte in der Wahrnehmung der Auseinandersetzungen zwischen Israel und den Palästinensern deutlich. Eine Deutsch-Palästinenserin habe ihm gegenüber über das Vorgehen Israels im Gazastreifen geäußert, daß die israelischen Soldaten „willkürlich“ und „wahllos“ auf „unschuldige“ Menschen schießen, um diese zu töten oder zumindest in Angst und Schrecken zu versetzen. „Ihre Deutung ist, daß es das operative Ziel der israelischen Armee sei, die palästinensische Bevölkerung zu provozieren“, so Gerloff.
Die Sprecher der israelischen Armee erklärten hingegen, daß Sinn und Ziel dieser militärischen Operationen die Zerstörung der terroristischen Infrastruktur im Gazastreifen sei und verwiesen auf die Produktion von Kassam-Raketen, Panzerabwehrraketen und Minen, die immer wieder für Angriffe auf israelische Ortschaften und Soldaten genutzt würden. Allein die Herstellung derartiger Waffen setze jedoch ein hochentwickeltes Fachwissen voraus. „Wo sich die Palästinensische Autonomiebehörde unfähig oder unwillens erwies, diesen Terrorexperten in ihren eigenen Reihen das Handwerk zu legen, haben israelische Sicherheitskräfte in den vergangenen Jahren immer wieder gezielt palästinensische Aktivisten liquidiert“, sagte Gerloff.
Der Vorwurf, die israelische Armee erschieße „wahllos“ und „willkürlich“ unschuldige Palästinenser, sei so alt wie die „Intifada“ selbst, so Gerloff. Eine statistische Untersuchung des „International Policy Institute for Counter-Terrorism“ (ICT) aus Herzliya, in der die Opferzahlen auf israelischer und palästinensischer Seite dargelegt wurden, habe jedoch diesen Vorwurf widerlegt. Demnach waren nicht nur mehr als 50 Prozent aller palästinensischen Toten nachweislich an Kämpfen beteiligt, während auf israelischer Seite weniger als 25 Prozent aller Todesopfer als Kämpfende ums Leben kamen. Sondern auch die Zahl der israelischen Zivilisten im Alter von 40 Jahren und darüber ist mehr als doppelt so hoch wie die vergleichbare Altersgruppe auf palästinensischer Seite. Zudem seien weniger als fünf Prozent der ums Leben gekommen Palästinenser Frauen oder Mädchen, die Zahl der getöteten Israelinnen sei hingegen doppelt so hoch, heißt es in der Studie.
Neben diesem Beispiel für die Beurteilung des Nahostkonflikts aufgrund erwiesener Fakten sei auch die Perspektive, aus der heraus das Geschehen betrachtet wird, entscheidend für eine Beurteilung. Israel werde häufig als „Goliath“ mit einer der schlagkräftigsten Armeen der Welt dem kleinen „David Palästina“ gegenübergestellt, der sich lediglich mit steinewerfenden Kindern, im besten Falle mit Gewehren oder eben Selbstmordattentätern zu wehren wisse. „Israel selbst sieht sich nicht nur den Palästinensern gegenüber, sondern der gesamten arabischen und gar islamischen Welt. Wenn wir den Nahostkonflikt nicht nur als israelisch-palästinensische Auseinandersetzung, sondern als israelisch-arabischen oder gar israelisch-islamischen Konflikt begreifen, ergibt sich ein vollkommen anderes Bild. Israel wird dann plötzlich zum ‚David'“, sagte Gerloff. (ad)
Das Manuskript des gesamten Vortrags von Israelnetz-Korrespondent Johannes Gerloff kann unter Fax (06441) 915 157 oder per Mail bei redaktion@israelnetz.de angefordert werden. Bitte geben Sie dazu Ihre Adresse an.