Die Jerusalemer Stadtbahn, die seit drei Jahren West- und Ostjerusalem verbindet und für manche ein Symbol des Zusammenlebens für Juden und Araber ist, ist in den vergangenen Monaten Zielpunkt von Vandalismus geworden. Viele Palästinenser sehen sie als Symbol der Besatzung, eben weil sie Juden auch in arabische Stadtviertel bringt. Zuletzt beschädigten Palästinenser Haltestationen im Juli, nachdem der Mord an dem arabischen Jugendlichen Muhammad Abu Chdeir bekannt geworden war. Während des Gaza-Konfliktes im Sommer und in der Zeit danach bewarfen Palästinenser die Waggons immer wieder mit Steinen.
Die Straßenbahn stand am Mittwochabend erneut im Fokus eines Angriffs, den die israelische Polizei als Terrorakt beschrieb und der ein Todesopfer zur Folge hatte. Etwa Viertel vor sechs Uhr Ortszeit scherte ein silberner VW Jetta aus dem Verkehr aus und raste auf eine Gruppe von Menschen zu, die eben an der Haltestation Munitionshügel ausgestiegen waren. Das Auto erfasste acht Menschen. Ein drei Monate altes Mädchen wurde aus seinem Kinderwagen geschleudert. Es starb wenig später an seinen Verletzungen. Eine 20-Jährige befand sich bis zum Donnerstagmittag noch in kritischem Zustand.
Der Fahrer fuhr zunächst an der Bahnstrecke entlang weiter. Dann stieß er jedoch auf einen Laternenmast. Er stieg aus und versuchte zu Fuß zu fliehen. Die Polizei schoss ihn nieder. Er wurde ins Krankenhaus eingeliefert, erlag aber seinen Verletzungen. Nach Angaben der Polizei handelt es sich um den 21-jährigen Palästinenser Abed a-Rahman a-Schaludi aus dem Stadtteil Silwan. Er gilt als Unterstützer der Terror-Organisation Hamas und saß bereits in israelischer Haft.
Aufruf zu „Kreuzzug“
Der israelische Premier Benjamin Netanjahu gab dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde Mahmud Abbas die Schuld an der Tat. Es sei „das Werk von Abbas’ Partner“, sagte er in Anspielung auf die Einheitsregierung von Fatah und Hamas. „Es ist der gleiche Abbas, der vor wenigen Tagen dazu aufgerufen hat, Juden Schaden zuzufügen.“ Abbas hatte am vergangenen Freitag Muslime dazu aufgerufen, „mit allen Mitteln“ zu verhindern, dass Juden auf den Tempelberg und an die Al-Aksa-Moschee gelangen. Nach einem Bericht der Tageszeitung „Yediot Aharonot“ hatte A-Schaludi in seinem letzten Internet-Eintrag zu einem „Kreuzzug“ aufgerufen, um die Al-Aksa-Moschee gegen Juden zu „verteidigen“.
Die Terrorgruppe Hamas begrüßte die Tat als „natürliche Antwort auf die Verbrechen der Besatzung“. Ebenso äußerten sich die „Al-Quds-Brigaden“, der militärische Flügel der Terrorgruppe „Islamischer Dschihad“. Das berichtet die Tageszeitung „Jerusalem Post“.
Der israelische Staatspräsident Reuven Rivlin verurteilte die Tat. „Die stärker werdende Hetze auf den arabischen Straßen und den Straßen Jerusalems, die unglücklicherweise den Rückhalt der Führer der arabischen Welt hat, kann das delikate Gleichgewicht des Jerusalemer Lebens zerstören.“ Der israelische Wirtschaftsminister Naftali Bennett sagte, die angemessene Antwort auf die Tat sei weiterer Wohnungsbau in Jerusalem. Wer davor Angst habe, der habe die Souveränität über Jerusalem aufgegeben. „Und es gibt keine Sicherheit ohne Souveränität.“
Unruhen in Jerusalem
Unterdessen wurde bekannt, dass das getötete Kind die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß. Das bestätigte der israelische Polizeisprecher Mickey Rosenfeld gegenüber dem amerikanischen Nachrichtensender „NBC News“. Laut der Nachrichtenagentur Reuters sind die Eltern des Kindes ein junges amerikanisches Ehepaar, das nach Israel ziehen will. Die Vereinigten Staaten verurteilten die Tat ebenso wie mehrere Länder, darunter Deutschland sowie der Staatenverbund „Europäische Union“.
In der Nacht zum Donnerstag kam es zu Aufständen in mehreren arabischen Stadtvierteln, darunter auch in Silwan. Der arabisch dominierte Stadtteil stand zuletzt im Fokus, weil neun jüdische Familien dort hingezogen waren. Bereits in den Tagen vor der Terrortat kam es zu mehreren Vorfällen in Jerusalem, in denen palästinensische Jugendliche Fahrzeuge mit Steinen bewarfen. Die israelische Polizei kündigte nach dem Terrorakt an, ihre Präsenz in Jerusalem zu verstärken.